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Persönlich Interview: Frank Bodin

29.05.2020 11:18

ADC Präsident Frank Bodin spricht im Persönlich über die erste Online-Jurierung, die diese Woche stattfand: «Anfänglich wurde online strenger juriert als normal». Das Interview führte Matthias Ackeret. Hier geht's zum Online-Artikel auf persoenlich.com.

Herr Bodin, Corona verändert auch den ADC. Erstmals wurde das Online-Voting für die ADC Awards durchgeführt (persoenlich.com berichtete). Hat sich dieses Prinzip bewährt?
Erstmals bewertete jede Jurorin, jeder Juror die Arbeiten individuell. Man sah also nicht mehr, wer welcher Arbeit seine Stimme gab. Nach jeder Runde – Shortlist, Bronze, Silber – fanden sich die jeweiligen Jurygruppen in einem Zoom-Meeting zusammen, um unter der Leitung des jeweiligen Jurygruppen-Präsidenten knappe Entscheide zu diskutieren. Das endgültige Voting zu diesen diskutierten Arbeiten fand danach wieder individuell und anonym statt. Dadurch wurde die Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung sicherlich vergrössert, aber Bildschirme können das persönliche Stelldichein nicht ersetzen – in der digitalen Anonymität sind meiner Meinung nach in einigen Kategorien zu strenge Urteile gefällt worden, vor allem in den ersten Runden.

Was waren die Vor-, was die Nachteile?
Als Notmassnahme war die Online-Jurierung sicher vertretbar, aber das ganze Zoom-Zeugs hat auch seine Grenzen. Zwischen gut und schlecht zu unterscheiden ist einfach, aber der Unterschied zwischen gut und etwas besser und noch besser als etwas besser ist eine Herausforderung, ist ein kreativer Prozess. Dass fundierte Diskussionen trotzdem stattfinden konnten, war dem ADC Switzerland sehr wichtig. Aber in einer Diskussion möchte man seinem Gegenüber direkt in die Augen schauen können und nicht durch einen Bildschirm hindurch. Wir freuen uns alle auf wieder bessere, persönlichere Zeiten.

Wurden «andere» Resultate erzielt als bei einer herkömmlichen Jurierung?
Unverändert blieb, dass nach qualitativen Kriterien juriert wurde. Eine Jurierung ist immer eine Momentaufnahme, und jedes Jahr gibt das eine oder andere Resultat nach der Preisverleihung zu reden. Das ist gut so. Weil genau diese Diskussionen die Effektivität und Effizienz der kommerziellen Kommunikation verbessern.

«Der Jahrgang 2019 war eine kleine Ernte»

Nun stammen die eingesandten Arbeiten alle von der Vor-Corona-Zeit. War dies bei der Jurierung ein Thema?
Mein Jury-Briefing habe ich dieses Jahr mit «Substanz gesucht» übertitelt. Wir haben Substanz gefunden.

Wie beurteilen Sie die prämierten Arbeiten? Ist 2020 ein guter Werbejahrgang?
Es hat einige beachtliche Ideen. Das ändert nichts daran, dass die Schweiz im Vergleich zu grossen Werbemärkten wie den USA, Brasilien, UK, Frankreich usw. ein Werbe-David bleibt. Der Jahrgang 2019 war eine kleine Ernte, aber mit einigen wunderbaren Arbeiten. Wir sollten gemeinsam mit den Auftraggebern schauen, dass es viel, viel, viel mehr davon gibt. Wir sind uns wohl alle einig, dass vor lauter neuen technologischen Möglichkeiten derzeit zu wenig in die Qualität der Inhalte investiert wird. Obschon jeder gerne von der Notwendigkeit von Kreativität spricht, ist sie in Tat und Wahrheit nicht im Interesse von so manchen Playern, beispielsweise vielen Verkäufern von Werbeplätzen – weil Ideen effizienter und effektiver wirken, also mit weniger Mediageldern auskommen. Werbeauftraggeber sind gut beraten, die besten Kampagnen dieses ADC Jahrgangs genau anzuschauen. Oder wie mein Freund und langjähriger Mentor Jacques Séguéla sagte: «Money doesn't have ideas – only ideas make money.»

Sie sind schon lange in der Werbung. Inwiefern wird die aktuelle Krise die Werbung verändern?
Corona ist eines dieser seltenen Black-Swan-Ereignisse, das bereits jetzt fundamentale Effekte auf die gesellschaftliche Psyche hat. Also sicherlich auch beim Blick der Jurorinnen und Juroren auf die Arbeiten. Dazu gehören auch Fragen, was die Auswirkungen dieses Ereignisses auf die Marken im gesellschaftlichen Kontext sein werden. Meiner Meinung nach wird dies den Nachhaltigkeits- und Verantwortungsfaktor von Marken extrem beeinflussen – Menschen werden sich zu den Marken hingezogen fühlen, die glaubwürdig verantwortliches Handeln zeigen. Das wird auch dazu führen, dass Ideen, die der Gesellschaft einen Mehrwert bieten, wichtiger werden. Übrigens hat genau diese Diskussion den ADC Vorstand darin bestärkt, dass ein Verzicht auf die Jurierung der falsche Weg wäre respektive dass die Motivation zu herausragender Kreativität jetzt erst recht wichtig ist.

Eine Frage an den ADC Präsidenten: Wird in Zukunft weniger kreative Werbung verlangt?
Zukunftsprognosen sind schwierig, vor allem weil wir ja noch mitten in der Krise stecken und deren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen kaum abschätzen können. Ein Zitat von Abraham Lincoln bestärkt mich aber im Glauben, dass die Rolle der Kreativität wichtiger werden könnte: «Der beste Weg die Zukunft vorauszusagen, ist sie zu gestalten.» Was wir im Marketing derzeit erleben, ist oft das Gegenteil. Zum Beispiel wenn Marketing nichts falsch macht, was aber eben auch noch lange nicht richtig gut ist. Oder wenn sich Marketing so fürchterlich ernst nimmt. Die witzigen Bilder und Filme, die wir alle in den vergangenen Wochen via soziale Medien erhielten und teilten, zeigen, was bei den Leuten auch noch ankommen könnte: Unterhaltung, Charme, Raffinesse, Witz, Aberwitz, Emotionalität, Echtheit, Denkwürdiges usw.

Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?
Wenig. Ich kam ja gerade in formidabler Höchstform aus meiner Auszeit und mein Geschäft lief in allen drei Bereichen richtig gut an. Auf die Corona-bedingte Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Selbstreflektion, Fingerübungen am Klavier, Homeschooling, langen Spaziergängen mit unserem Hund, der nie auf dem Hund ist und der Dauerpräsenz auf digitalen Geräten hätte ich verzichten können.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis überhaupt?
Bewegend: Wenn meine Jüngste «Sommertime Sadness» singt und sich dabei am Klavier begleitet. Prägend: Immer wieder an ansonsten bevölkerten Plätzen völlig allein dazustehen.