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Kreativer mit KI

Künstliche Intelligenz ist der grösste Treiber für Innovation und Disruption, die unser Leben gerade von Grund auf verändern. Auf eine solch radikale und holistische Weise, wie dies in den letzten Jahrhunderten nur durch die Erfindung der Dampfmaschine, der Elektrizität und des Computers geschehen ist. Kein Wunder, sprechen Experten in Bezug auf KI von der vierten (oder gar fünften) industriellen Revolution. Diese macht vielen Menschen Angst und hinterlässt noch mehr Fragen. Zeit für Antworten. Am besten von jemandem, der es wissen muss: künstlicher Intelligenz selbst. Wir haben zwei KI die Fragen gestellt, welche die Kommunikationsbranche bewegen, und zusammen in die Zukunft geschaut.

Andy Lusti, Michael Katzlberger

2021

Porträt der jungen Künstlerin: So sieht sich künstliche Intelligenz selbst.
Porträt der jungen Künstlerin: So sieht sich künstliche Intelligenz selbst.
Künstliche Intelligenz

WAS VERSTEHT MAN UNTER KÜNSTLICHER INTELLIGENZ?
«Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit von Maschinen, Aufgaben auszuführen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern», antwortet die KI Megatron-LM. Das NLP-Sprachmodell wurde von Forschern bei Nvidia entwickelt, die versuchen, durch maschinelles Lernen menschenähnliche Intelligenzleistungen möglich zu machen.

ANGST VOR NEUEM
Während manche Menschen Neues neugierig begrüssen, verschliessen sich andere komplett davor. Die grassierende Neophobie in Bezug auf KI ist jedoch nicht weiter erstaunlich, wenn man bedenkt, dass unzählige Arbeits- plätze, Lebensmodelle und gar Existenzen vom rasenden technischen Fortschritt bedroht werden. Zudem setzt Hollywood mit Blockbustern wie «Blade Runner», «Terminator», «Matrix» oder «Ex Machina» bereits seit Jahrzehnten KI mit dem Weltuntergang gleich. Dies bestätigt auf Anfrage auch die künstliche Intelligenz GPT-3 der Firma OpenAI, die von Elon Musk mitbegründet wurde: «Künstliche Intelligenz wurde in Hollywood-Filmen und Videospielen als eine böse Macht dargestellt, weil sie menschliche Überflüssigkeit bedeutet.»

UMSTELLUNG STATT APOKALYPSE
Die Welt, wie wir sie kennen, wird durch KI in der Tat untergehen. Denn allen apokalyptischen Horrorszenarien zum Trotz verlassen wir uns im Alltag bereits sehr viel öfter auf künstliche Intelligenz, als uns gemeinhin bewusst sein dürfte: Siri oder Alexa schalten morgens den Wecker ein und streamen die automatisch generierte Spotify-Playlist, zu deren Takt die Rollläden des Smart Home maschinell hochfahren. Nach dem Frühstück bestellt der Kühlschrank autonom die geleerte Packung Milch nach, während uns das Navi auf dem schnellsten Weg zur Arbeit lotst. Wir setzen uns auf einen Stuhl aus einem 3-D-Drucker, klappen den Laptop auf und vertrauen beim Surfen durchs Netz den Ergebnissen des Google-RankBrain genauso wie den Algorithmen der Social-Media-Kanäle, die den Blick auf unsere Welt massgebend beeinflussen.

Wie lange wir überhaupt noch zur Arbeit fahren beziehungsweise uns bald von einem autonomen Fahrzeug dahin chauffieren lassen dürfen, kommt ganz auf den Job an. Je nach Studie werden Roboter bereits in zehn Jahren bis zu fünfzig Prozent aller menschlichen Arbeiten über- nehmen. Dabei sind Arbeiten, die aus einer vorhersagbaren Routine bestehen, besonders gefährdet. Weniger direkt bedroht sind hingegen Berufe, für die spezielle, menschliche Tugenden vonnöten sind. Wie beispielsweise der Geschmackssinn einer Köchin, die Empathie eines Psychologen oder die Flexibilität einer Ärztin.

KI IST GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEM
Bleibt die Kreativität als eine der letzten menschlichen Bastionen bestehen, oder nimmt künstliche Intelligenz nun auch Kurs auf die Kunst? «Eine Maschine wird einen Kreativen niemals ersetzen können», antworten viele Werber mantraartig. Mit der steten Wiederholung wird die Aussage nicht wahrer, und es stellt sich die Frage, ob die professionellen Scouts für Trends und Kom- munikation in Bezug auf die Entwicklung ihres eigenen Berufsstandes die Augen vor der Realität verschliessen. Denn KI steht nicht mehr vor verriegelten Toren, sondern hat sich längst in den Agenturen breitgemacht: Sie kauft Media ein, optimiert Kampagnen und perfektioniert den Medienmix, um nur einige der weitverbreiteten Anwendungen zu nennen.

«Verstehen Sie mich nicht falsch, ich glaube, dass KI und maschinelles Lernen einen grossen Einfluss auf die Kreativbranche haben werden. Wie bei jeder neuen Technologie wird es Zeit brauchen, sich anzupassen. Eines Tages wird KI das Rückgrat jedes Teams sein. Die besten KI-Lösungen werden in der Lage sein, Dinge zu tun, die selbst einige der besten Künstler und Autoren im Schatten stehen lassen», wagt Megatron-LM bereits heute einen Ausblick in eine Zukunft, die vermutlich näher liegt, als manchem lieb ist.

INTELLIGENZ SCHÜTZT NICHT VOR FEHLERN
Bevor jedoch der künstlich Kreative auf Knopfdruck gute Konzepte ausspucken und umsetzen kann, muss er wie jeder Praktikant erst einmal viel lernen – und noch mehr einstecken. Zu oft und zu gerne berichten Medien über Fehlschläge von KI, wie die antisemitischen Aussagen des Chatbots Tay.ai von Microsoft, die uninspirierten Gerichte des «Chef Watson» von IBM oder die misslungenen Farbnamen von Janelle Shane. Genüsslich ausgeschlachtet wurden die Grenzen von KI zum Beispiel 2016 im Kurzfilm «Sunspring». Bei diesem wurde das erste computergenerierte Drehbuch einfach eins zu eins verfilmt und der Zuschauer ratlos zurückgelassen. Diese Desaster sind zwar erst gut fünf Jahre her, aber wenn man bedenkt, dass ein Jahr in unserer Welt sieben Jahren im digitalen Universum entspricht, sind seitdem schon zwei Generationen vergangen. Viel Zeit für künstliche Intelligenz, sich weiterzuentwickeln und dank exponentieller Lernkurve die Grenzen weiter zu verschieben.

«KI hat sich längst in Agenturen breitgemacht. Sie optimiert Kampagnen und perfektioniert den Medienmix.»

KI IN SERIE UND AUF ALLEN KANÄLEN
Aber es gibt auch gelungene Anwendungen von künstlicher Intelligenz, wie die Erfolgsgeschichte von Netflix zeigt. Der Film-Streaming-Dienst hat «House of Cards» akribisch am Reissbrett geplant, indem er das Nutzungs- verhalten der Netflix-Abonnenten von künstlicher Intelligenz bis ins Detail analysieren, Algorithmen hinterlegen und so die entscheidenden Erfolgsfaktoren ausarbeiten liess. Die wertvollen Inputs wurden an- schliessend von Kreativen umgesetzt, so dass die Serie zwangsläufig ein Kassenschlager werden musste. In der Zwischenzeit ist der Streaming-Gigant schon ein paar Schritte weiter und wird in naher Zukunft jedem seiner über 200 Millionen Abonnenten einen personalisierten Film-Trailer zustellen! Und beispielsweise mit einem Zusammenschnitt der Liebesszenen versuchen, romantische Zuschauer in einen Actionfilm zu locken, während Action-Fans von den besten Stunts angezogen werden.

DATEN, DAS GOLD DER ZUKUNFT
Auch Spotify sammelt permanent Daten, um sein Angebot immer besser und individueller ausrichten zu können. Dank wertvollen Informationen wie Song-Präferenzen, Keywords, Playlists oder dem geografischen Standort zahlt jeder Hörer bereitwillig in den wachsenden Datenschatz ein und erlaubt es dem Streaming-Pionier, ihn mit Titeln zu überraschen, die er organisch gar nie gesucht hätte – und die nicht nur seinen Musikgeschmack massgeblich beeinflussen. Personalisierte Filmtrailer und massgeschneiderte Playlists sind jetzt auch keine hohe Kunst, mag der eine oder andere Leser an dieser Stelle einwenden und zu Recht fragen, wie es mit einem wirklich grossen Werk aussieht. Das kommt ganz auf das Briefing an! Als künstliche Intelligenz für ein Experiment mit allen zur Verfügung stehenden deutschen Gedichten trainiert wurde, waren die Ergebnisse eher frustrierend als inspirierend. Als sich der Input jedoch nur noch auf die Texte Goethes oder Schillers konzentrierte, war das Ergebnis erstaunlich: Über das Gedicht «Sonnenblicke auf der Flucht» wurde im deutschen Feuilleton heftig diskutiert, und es schaffte es sogar, die renommierte Lyrikerin Ulla Hahn zu täuschen, die in ihrer Analyse befand, «das Werk bemühe sich um Sinnaufbau durch Sinnabbau».

Kuratieren Sie die Antworten der KI
Kuratieren Sie die Antworten der KI
GPT3 / Megatron LM

BOT OR NOT?
Inspiriert von der überraschenden Poesie des literarischen Experiments, stellte sich das Haus der Wissenschaft in Braunschweig 2019 die Frage, ob man Gedichte von Menschen und Maschinen überhaupt noch unterscheiden könne, und liess die beiden Kontrahenten kurzerhand gegeneinander antreten: und zwar in Form eines Poetry-Slam. Im ausverkauften Saal des Instituts wurden die eigens für den Anlass kreierten Gedichte von bekannten Slam-Poeten vorgetragen, und das Publikum hatte die Aufgabe, zu erraten, welche Zeilen aus der Feder eines Menschen und welche aus den Schaltkreisen künstlicher Intelligenz stammten. Dabei gingen die Meinungen der Jury oftmals auseinander. Nur in einem waren sich alle einig: KI ist kreativer als gedacht und kann in vielen Bereichen bereits mit dem Menschen mithalten.

«Was man der KI beibringen muss, um die gewünschten Resultate zu erzielen, testet man am besten mit Hilfe von Trial and Error», erklärt Michael Katzlberger seine bewährte Vorgehensweise. Der einfallsreiche Kopf hinter dem postmortem geschaffenen Goethe-Schiller-Gedicht und den Bot-or-Not-Slams hat die neue Technologie von Anfang an mit offenen Armen empfangen und ihre Fähigkeiten für zahlreiche Werbekampagnen eingesetzt, von denen einige wie zum Beispiel die Social-Kampagne #calmdowninternet für den Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA) an Kreativ-Festivals ausgezeichnet wurden. Er ist davon überzeugt, dass die bestehende Skepsis in der Branche immer mehr der Begeisterung weichen wird, sobald genug Leute das Potenzial der künstlichen Intelligenz erkennen und für wegweisende Projekte einsetzen.

STIMULATION STATT SIMULATION
Aber welche Rolle soll KI im kreativen Prozess spielen? Kann doch unser Anspruch nicht sein, die menschlichen Fähigkeiten nachzuahmen und zu perfektionieren – und somit obsolet zu machen. Die Vordenker in dem Bereich rufen nach Stimulation statt Simulation.

«Das Ziel ist es nicht, den menschlichen Geist nachzubilden. Was uns mehr interessiert, ist die Interaktion mit der Technik, welche die Kreativität des Menschen anregt», sagt Rob High, Vice President and Chief Technology Officer der KI IBM Watson, die nach «Chef Watson» mittlerweile weit Bahnbrechenderes hervorbringt. Darum wolle man vor allem den Prozess analysieren und verstehen: «Was können wir tun, um Menschen zu helfen, viel häufiger als heute auf neue Ideen zu kommen? Wir sind auf der Suche nach etwas, das tatsächlich eine Präsenz in unserem Leben erzeugt und uns dadurch inspirieren kann.»

Ähnlicher Meinung ist auch Garri Kasparov. Der einst jüngste Schachweltmeister beschäftigt sich seit über 20 Jahren (ja, nachdem er 1997 gegen die KI Deep Blue verloren hat) mit dem Thema. Sein Konzept stellt die Augmented Intelligence, in Weiterführung der Artificial Intelligence, ins Zentrum und untersucht wie die künstliche die menschliche Intelligenz verbessern, vergrössern und vermehren kann. Hierfür ist ein Zusammenwirken nötig. Mensch und Maschine stünden nicht in Konkurrenz, weil sie nicht die gleichen Qualitäten aufweisen. Letztere sind schnell, exakter und durchwegs rational, werden nie müde und sind konsistent in dem, was sie hervorbringen. Aber es mangelt ihnen an Intuition, Emotionalität oder Kultursensibilität. Wir hingegen können antizipieren, fühlen und beurteilen, wie sich Situationen ändern bzw. ändern werden und darum von kurzfristigen zu langfristigen Anliegen wechseln. Es sind genau diese Fähigkeiten, die der Mensch besitzt und die uns effektiv beziehungsweise kreativ machen. Anders gesagt: Die artifizielle Intelligenz der Maschine ergänzt die authentische Intelligenz des Menschen.

Das nächste logische Level ist die Augmented Creativity, auf Deutsch erweiterte Kreativität, wo es darum geht, wie KI menschliche Innovationen beschleunigen kann. Forscher an der ETH Zürich bemühen sich intensiv darum, die entsprechenden Tools bereits Kindern zugänglich zu machen. Prof. Bob Sumner sieht den wahren Gewinn darin, «dass diese Technologie das Physische und Virtuelle nahezu magisch vereint und damit zu kreativen Tätigkeiten ermuntert». Mit digitalen Werkzeugen erwecken Kinder ihre auf dem Papier ausgemalten Figuren zu dreidimensionalem Leben, komponieren und mixen Musik je nach Genre oder spielen Picassos auf die Leinwand gebrachte Wahrnehmung weiter. Michael Conrad, ehemals Vice-Chairman und Chief Creative Officer von Leo Burnett Worldwide sowie Gründer der Berlin School of Creative Leadership, begrüsst alles, was den Nachwuchs auffordert, Unbekanntes zu erkunden: «Wir werden mit dem Schlüssel zur Kreativität geboren: der Neugier. Jeder Mensch hat also die beste Voraussetzung, ein kreatives Leben zu führen, zu erfinden, zu innovieren, Probleme zu lösen. Das ist das, was unsere Welt heute mehr denn je braucht. Pädagogen haben es somit in der Hand, das kreative Potenzial ihrer Schüler freizusetzen und dafür zu sorgen, dass ihre Neugier nicht verloren geht. Die gleiche Aufforderung richtet sich auch an Eltern und später an die Arbeitgeber.»

Zwar kein Kind mehr, dafür fast schon neusüchtig, ist der Musik- und «Neue Medien»-Künstler Reeps One. Für die ITU (Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Informations- und Kommunikationstechnologien mit Sitz in Genf) hat er die Optionen der Augmented Creativity ausgereizt, indem er sich mit seinem «zweiten Ich» zusammentat: «Ich sang und performte mit einer künstlichen Intelligenz, die mein Beatboxen nachahmte und daraus lernte, mich herausforderte und drängte, meine Kunst weiterzubringen», schildert der Engländer. «Meine Individualität und meine Besonderheit wurden auf eine ungewohnte Art provoziert.» Die Erkenntnis aus seiner Erfahrung dient auch anderen: Eine Störung im «Produktionsprozess» zwingt uns, die bekannten und bewährten Denkmuster zu verlassen. Handlungsautomatismen werden unterbrochen. Wir machen alles anders. Alles neu. Bequem war gestern. Der Wettbewerb gegen sich selbst bringt Reibung mit sich, und diese entzündet die Kreativität. Fortschritt ist das erwünschte Resultat. Wie wäre
es, die KI als ein künstliches, ausgelagertes Organ zu betrachten, das uns nahezu unlimitierte Kapazität zur Verfügung stellt?

In der Kommunikationsbranche wird das Top-Krea-Team der Zukunft statt aus Art Director und Texter vermutlich aus einer KI und einem erfahrenen Kreativen bestehen. Beide werden sich gegenseitig brauchen und ergänzen – und so Ungeahntes hervorbringen.

WELCHES MODEL IST AUS FLEISCH UND BLUT?
Testen Sie selbst, ob Sie heute noch erkennen können, welche Person von einem Menschen und welche von einer Maschine geboren wurde. 

Testen Sie Ihr KI-Wissen
Testen Sie Ihr KI-Wissen
Christopher Campbell und KI

Mögliche Hinweise darauf, dass das Bild eines Menschen vom Computer generiert wurde:
1‒Haare: Kein natürlicher Verlauf. Sehen oft aus wie angepinselt.
2‒Ohren: Unterschiedliche Grösse oder auf verschiedenen Höhen.
3‒Zähne: Unregelmässig in der Grösse.
4‒Augen: Unterschiedliche Lichtspiegelungen in den Pupillen.
5‒Hintergrund: Sich wiederholende Elemente oder seltsame Spiegelungen.

Andy Lusti, Michael Katzlberger
Andy Lusti, Michael Katzlberger
Olivier Walther, Wolfgang Pohn

MICHAEL KATZLBERGER widmet sich seit 2016 intensiv dem Thema «Künstliche Intelligenz in der Kreativindustrie» und tritt mit seiner Katzlberger Consulting GmbH an, das Thema KI einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vorher war er 20 Jahre lang Geschäftsführer der führenden, österreichischen Digitalagentur Tunnel23.

ANDY LUSTI ist seit jeher von Neuem fasziniert und liebt es, neue Technologien, Medien und Trends kreativ zu nutzen. Das langjährige ADC-Mitglied arbeitet als freier Creative Director und Konzepter für Direktkunden und Agenturen in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich.

Nur für Sie.