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Das Indiz

Damit Kreativität nicht durch KI ersetzt wird, sollten wir unserem Darm besser Sorge tragen, sagt Journalist Hans Georg Hildebrandt*. Sein Rezept, um das Bauchgefühl zu nähren: möglichst viel Vielfalt – und eine Prise Dreck.

Hans Georg Hildebrandt

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Text Hans Georg Hildebrandt


Viele unserer heutigen Aufgaben werden künftig von digital gesteuerten Nachbauten des Menschen erledigt werden. Wird das Erfinden überraschender Werbung ebenfalls davon betroffen sein? Zumindest der Verfasser des Folgenden hat davor für den Moment keine Angst. Der Grund: Die Künstliche Intelligenz wird an der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns gemessen. Aber der menschliche Denkapparat umfasst neben dem Gehirn weitere Gebiete des Körpers und ist um Grössenordnungen komplexer als das avancierteste Modell, das in näherer Zukunft gebaut werden wird. Namentlich der Darm spielt bei zahlreichen kognitiven Funktionen eine wichtige und bisher noch weitgehend unerforschte Rolle. Wir sollten uns deshalb besser darum kümmern, unseren Darm gesund zu erhalten als uns vor der Zukunft zu fürchten.


Denken mit Darm und Hirn


Dickdarm und Gehirn sind durch einen bidirektionalen Kommunikationsweg miteinander verbunden, der als Darm-Hirn-Achse bekannt ist. Auf ihr geschehen multiple Interaktionen zwischen dem Gehirn / Rückenmark und dem Netzwerk von Neuronen im Magen-Darm-Trakt. So gelangen neuronale, hormonelle und immunologische Signale aus dem Darm entlang des Vagusnervs zum Gehirn, während dieses Signale zurücksenden kann, um die Magen-Darm-Funktion nen zu beeinflussen. «In der Darmwand befinden sich mehr Nervenzellen als im Rückenmark», sagt der Zürcher Gastroenterologe Gerhard Rogler in einem Interview. «Diese kommunizieren mit dem Gehirn und umgekehrt. Sie leiten zum Beispiel Schmerzen weiter und regeln die Darmtätigkeit: Sehen wir leckeres Essen, nimmt die Darmtätigkeit zu – bevor man überhaupt isst.» Die Redewendung, dass man wohl öfter auf seinen Bauch hören sollte, hat demnach ihre Wurzeln durchaus in der Realität. Rund 100 Millionen Nervenzellen umhüllen unseren Darm und sind mit dem Gehirn in ständiger Verbindung. Dabei gibt es ein Ungleichgewicht. Denn der Darm hält das Gehirn.


Ganzheitlich zu denken bei der kreativen Arbeit, das wird uns kein Computermodell so rasch streitig machen können.


Sehr wohl ständig über die aktuelle Lage in ihm, diesem größten inneren Organ, auf dem neuesten Stand. Aber im Gegenzug interessiert sich das Gehirn eher weniger für die Geschehnisse „da unten“; nur 10 Prozent der Signalbahnen gehen vom Hirn zum Darm (es kann ihn ja auch nicht beeinflussen). Demnach führen 90 Prozent der Nervenstränge vom Darm zum Hirn und helfen uns so gemäß neueren Erkenntnissen der Wissenschaft beim ganzheitlichen Wahrnehmen unserer Lebenswirklichkeit. (Quelle: Ernährungsblog lavita.de)


Du bist so kreativ wie du isst


Unser Darm ist im Gegensatz zur Niere oder zur Leber von rund 100 Billionen Bakterien besiedelt, welche etwa ein Kilogramm unseres Körpergewichts ausmachen – und das ist gut so, denn sie helfen uns gewissermaßen beim Denken. Dazu Gastro-Enterologe Gerhard Rogler im oben zitierten Interview: «Was man immer klarer sieht: Darmbakterien sind nicht passiv, sie bilden Botenstoffe, die im Gehirn auch vorkommen.» Ohne diese wohltätigen Mitbewohner unseres Körpers kann der Darm seine Arbeit gar nicht tun und die ihm via Magen zugeführten, vorverdauten Lebensmittel nicht auswerten. Das Universum von Bakterien in unserem Bauch wird Mikrobiom genannt, und es sollte sich aus möglichst vielen unterschiedlichen Keimen zusammensetzen. Logischer Fakt: Wir sollten uns auch vielfältig statt einseitig ernähren, um möglichst viele verschiedene nützliche Bakterien im Darm zu kultivieren. Hilfreich ist dafür natürlich unverarbeitete Rohkost, also Gemüse und ungekochtes Getreide (Haferflocken). Beides bringt einerseits positive Bakterien mit sich, aber auch Ballaststoffe, die den Darm in Bewegung halten. Das tut dem Mikrobiom gut – und damit eben auch dem «Hirn in unserem Bauch».


Das Mikrobiom übernimmt bei der Darm-Hirn-Kommunikation einige wichtige Funktionen.


  • Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA), welche die Gehirnfunktion und die Stimmung beeinflussen können.
  • Modulation des Immunsystems, was Gesundheit und Funktion des Gehirns beeinflussen kann. Ein Ungleichgewicht in der Darmmikrobiota wurde mit Neuroinflammation und neurologischen Störungen in Verbindung gebracht.
  • Produktion von Metaboliten, indem Darmmikroben Ballaststoffe fermentieren und kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) wie Butyrat produzieren. Man hat festgestellt, dass SCFAs neuroprotektive Wirkungen haben und die Gehirnfunktion beeinflussen können.
  • Barrierefunktion und Durchlässigkeit: Eine Störung der Darmbarriere kann zu einer erhöhten Permeabilität führen, die es schädlichen Substanzen ermöglicht, in den Blutkreislauf zu gelangen und möglicherweise das Gehirn zu beeinträchtigen.

Das Bauchgefühl nähren für mög-lichst eigenständige Denkresultate


Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms, die als Dysbiose bezeichnet werden, zu verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen beitragen können, darunter Angstzustände, Depressionen, Autismus-Spektrum-Störungen und neurodegenerative Erkrankungen. Wer schlau ist, versteht es hingegen, die zehn Prozent Rückmeldungen aus dem Darm als zusätzliche Gehirnleistung zu nutzen. Man ist versucht zu sagen, dass wir desto eigenständiger denken können, je vielseitiger wir uns ernähren. In einer Welt, in der alle nur noch Pringles essen und Cola trinken, wird niemand mehr etwas Originelles denken können. Übrigens auch nicht in einer Welt, in der alle nur an Karotten knabbern und Salat kauen.


Wenn Hirn und Herz nach etwas Süßem verlangen, sollten Sie dem Ruf nur selten folgen: Ein zu hoher Zuckerkonsum beeinflusst die Zusammensetzung der Darmbakterien negativ. Bildlich gesprochen: Das Böse killt die Guten. Das gleiche gilt bei Wurstwaren. Richtig toll fürs Bauchgefühl sind Ballaststoffe (Leguminosen) und blättriges Grün von Schwarzkohl bis Spinat. Und die Bio-Debatte fällt in diesem Fall eindeutig aus: Biologisch angebauten Früchten und Gemüse haftet die größere Artenvielfalt an, was das Bakterielle angeht. Darum nicht zu sauber waschen!


Wir dürfen demnach festhalten: Die KI mag uns so manchen ungeliebten Job abnehmen. Aber ganzheitlich zu denken, quasi mit dem ganzen Körper bei der kreativen Arbeit zu sein – das wird uns kein Computermodell so rasch streitig machen können. Anders gesagt: Wir sind noch lange nicht am Arsch, solange wir unseren Darm in Ordnung halten.


Das Rezept für kreative Höchstleistungen


Wer seinem wertvollen Mikrobiom im Darm möglichst unterschiedliche Inputs zukommen lassen will, hält sich am besten an die Empfehlung von Ernährungsexperten: Pro Woche sollten wir mindestens 30 unterschiedliche Pflanzen zu uns nehmen. Das klingt nahezu utopisch, ist aber einfach mit dem richtigen Know-how. Und für alle nachtaktiven Kreativen: Kaffee gehört zu diesen Pflanzen.


Als Motivation und Inspiration soll das folgende Rezept dienen. Es enthält schon mal mindestens 10 Pflanzen plus diverse Gewürze, Linsen (reich an Proteinen sowie an Ballaststoffen) und schmeckt großartig. Das Gemüse kann man nach Lust und Laune variieren und gleich beim Einkaufen darauf achten, dass es eine möglichst bunte Auswahl ist – die Farben sind jeweils ein Hinweis auf enthaltene Vitamine und Schutzstoffe.

HANS GEORG HILDEBRANDT ist Journalist und Texter. Er ist für das Zürcher Symposium Soil to Soul (31. Oktober bis 4. November) zuständig, welches sich mit den Wechselwirkungen zwischen Ernährung, Darm und Umwelt befasst, tätig.

CURRY DER VIELFALT MIT LINSEN UND GEMÜSE

Das wird benötigt für 2 Personen:


50 g Ingwer

3 Knoblauchzehen

Senfkörner

1 EL Bratbutter (Ghee)

1 Lorbeerblatt

1 Zwiebel, in halbe Ringe geschnitten

1 Karotte, fein geschnitten

1 Stange Stangensellerie, fein geschnitten

200 g Babyspinat frisch

1 grossen Peperoncino ohne Samen und

Rispen, in Streifen geschnitten

180 g rote Linsen

5 dl Gemüsebouillon heiss

1/2 Limette

1-2 gehäufte Esslöffel Currypulver scharf (nach eigenem Belieben)



  • Ingwer und Knoblauch in eine Pfanne raffeln (wird in der indischen Küche GG-Paste genannt)
  • Lorbeer, Senfkörner und Butter dazugeben und erhitzen, bis die Paste duftet.
  • Gemüse dazugeben und andünsten.
  • Linsen dazugeben und mit dem Gemüse vermischen. An dieser Stelle kann man mit etwas Alkoholischem (Gin) ablöschen, um mehr Aromen zu lösen, muss aber nicht sein.
  • Bouillon angiessen, rühren. Während fünf Minuten bei mittlerer Hitze kochen und das Currypulver dazugeben.
  • Die gewaschenen Spinatblätter einrühren und den geschnittenen Peperoncino dazugeben.
  • Während 15 Minuten bei geringer Hitze unter gelegentlichem Rühren die Linsen und das Gemüse weichkochen.
  • Falls der Curry zu trocken wird, etwas heisses Wasser nachgiessen.
  • Saft der Limette über den Curry geben und einrühren.
  • Am Ende 5 Minuten ohne Hitze auf dem Tisch zum Nachgaren ziehen lassen, wenn gewünscht, mit einem Stück Butter verfeinern.

Dazu serviert man (bei großem Hunger) Basmatireis oder knusprige Crevettenchips und einen Gurkensalat mit Joghurt und etwas Knoblauch.


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