Es ist nicht dasselbe, einen Artikel über «neu» zu schreiben, wie etwas Neues zu machen oder zu schaffen, denn der damit verbundene Anspruch kann einschüchternd und lähmend sein. Eine Lose-Lose-Situation: Wer (ver)zweifelt, wird wohl kaum Neues ausprobieren oder kreieren. Dabei sollte uns die Erwartung darauf inspirieren, motivieren und weiterbringen. Was könnte man denn Interessantes schreiben, fragte ich mich. Da fiel mir auf: Das Interessante an Neuem ist nicht, dass oder was man darüber spricht oder schreibt. Sondern es ist das Neue selbst. Und das wird zu selten erschaffen oder gemacht.
Also entschied ich mich, wenn ich schon darüber schreibe, es auch zu tun: 10 Dinge an 10 Tagen, die für mich neu sind:
Ich habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Experimente umgesetzt, doch ich kann schon jetzt sagen: Neu ist einfach, wenn man es einfach macht. Der schöne Nebeneffekt: Es fördert die Kreativität. Denn unsere Nervenzellen im Gehirn kommunizieren miteinander und bilden eine Mikrostruktur, die sich plastisch verändert, wenn wir Neues tun. Neu macht kreativer. Und neu muss nicht funktional sein. Es macht Sinn es zu tun, einfach weil es neu ist: Neu ist interessant.
Meine Erfahrung mit den Aktionen:
1. Mit links eine Spinne zu zeichnen war nicht lebensverändernd, aber es fühlte sich befreiend an, etwas zu kreieren, das schlecht sein darf. Übrigens, wer vor Spinnen eine Phobie hat, sollte mal mit links eine zeichnen, das nimmt den Viechern das Eklige.
4. Ich stieg an einem Montagmorgen in den 32er-Bus, fasste mir ein Herz und begrüsste die erste Person mit Handschlag. Der ältere Herr war etwas verdutzt, aber irgendwie auch amüsiert über meine unerwartete Geste. Das war ein guter Anfang. Was dann folgte, war unangenehm und irritierend. Hände zum Schütteln erwischte ich keine mehr, da alle Passagiere damit fest ihre Handys umklammerten. Von den mindestens 20 Personen, die ich grüsste, bevor ich endgültig verstummte, haben nur zwei meinen Gruss erwidert. Alle anderen haben keinerlei Reaktion gezeigt. Montagmorgen war wohl der falsche Zeitpunkt für dieses Experiment.
5. Diesen Satz habe ich gelernt, damit ich Teklit, den Surprise-Verkäufer am Helvetiaplatz, Dienstagmorgens in seiner Muttersprache grüssen kann. Teklit hat leider kein Wort verstanden, als ich «ሃሎ ከመይ ትኸውን?» sagte.
6. An der abgebildeten Stelle, im Schnabel des Adlers, habe ich eine Notiz hinterlassen. Der Finder oder die Finderin wird darin aufgefordert, etwas zu tun, was er oder sie noch nie getan hat.
8. Das Plakat, das niemand sehen wird (?), wird während der ADC Week auf der Rückseite der abgebildeten Plakatstelle zu sehen sein.
9. Zichorienkaffee schmeckt irgendwie wie faules Süssholz. Fazit: Es gibt einen Grund, wieso Zichorienkaffee nicht mehr en vogue ist.
10. Das ist das Experiment, auf das ich am wenigsten Lust hatte. Ich habe es nicht gemacht, weil ich mich gerne anschaue, sondern weil man andere Gesichter viel besser kennt als das eigene – eigentlich normal, aber irgendwie auch komisch. Mir sind dabei tatsächlich Dinge aufgefallen, die ich in den letzten 45 Jahren nicht gesehen habe: In meiner rechten Gesichtshälfte ist alles tiefer: die Augenbrauen, das Auge und der Mund. Meine Nase befindet sich nicht genau in der Mitte, sondern sitzt leicht links. Ich habe ausserdem festgestellt, dass ich nicht mit beiden Augen beide Augen gleichzeitig anschauen kann, sondern nur jeweils eines. Sobald ich meinen Blick auf beide Augen konzentriere, sehe ich das gesamte Gesicht. (Ich frage mich gerade, welchen Nobelpreis ich für diese Beobachtung erhalten werde.) Und das Erstaunlichste für mich: Ich fühlte mich danach ganz entspannt. Für einen Moment glaubte ich, eine neue Form der Meditation erfunden zu haben, doch diese Erfahrung war nur für mich neu. «Spiegelmeditation» scheint es wirklich zu geben.
NICO AMMANN ist Mitgründer & Geschäftsführer Kreation von neu Creative Agency.
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