Der Hack
Wer gibt sich schon gern mit weniger als dem Besten zufrieden, wenn er oder sie weiß, dass noch mehr an noch kreativerem Output drin liegt. Fragt sich nur: Wie kommt der Mensch dorthin? Die angesagteste Antwort darauf lautet: mittels Biohacking. Ein Wegweiser in Richtung der genialsten Version Ihrer selbst.
Sherin Kneifl
Der Gründer von Google Ventures, der ehemalige CEO von Twitter, ein siebenfacher Super Bowl Gewinner, ein fünffacher «New York Times»-Bestsellerautor, die United States Navy SEALs... Die Liste ließe sich bis zum Ende dieses Beitrags fortführen. Ihr Titel: Biohacker. Was sie aufzeigt: Diese sehr erfolgreichen Menschen nutzen alle eine Form der Do-it-yourself-Optimierung, die offenbar wirkt. Sie beeinflussen ihren Körper und/oder ihren Geist für mehr Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Vitalität – und Kreativität.
Hacker sind in Hard- und Software versierte Personen. Sie finden Schwachstellen von Systemen, um sie für eigene Zwecke zu brauchen. Biohacker kennen ihre Hardware (= ihren Körper und seine Funktionen) sowie ihre Software (= das Gehirn und die neuronalen Verbindungen). Es gibt keine konkrete Definition des Begriffs, doch im Kern geht es darum, dass sie sich auf diverse Arten manipulieren, meist auf der Basis von einer Masse an Daten, die sie über verschiedene Kanäle und Geräte aus ihrem Alltag sammeln. Dabei ist nicht nur das bloße Unterstützen gewisser Abläufe und Funktionen gemeint, sondern der bewusste Eingriff in dieselben, um sie zum Maximum hin zu verändern. Das kann extrem anmuten, etwa täglich 110 Nahrungsergänzungsmittel schlucken, mit Elektroden am Körper schlafen, sich Minidosen an autogenetischen Substanzen spritzen, drei Tage pro Woche komplett auf Nahrung verzichten und so weiter. Andere greifen zu harmloseren Mitteln wie morgendlicher und abendlicher Meditationspraxis, fünf Einheiten Krafttraining in der Woche, im Vierertakt atmen, ausschließlich ohne Sonnenbrille Licht tanken oder Sitzungen im Whirlpool für einen Fluss an Ideen. So weit so diffus.
Sind Selbstversuche eine gute Idee?
Tauchen wir in die Tiefe – am besten übrigens in kaltem Wasser –, um mehr Klarheit zu erlangen. Auch in puncto Kreativität kann sich eine Person angeblich so hacken, dass ihr volles Potenzial ausgeschöpft wird.
Jack Dorsey ist der Poster Boy der Creative Leaders, die den Trend angestoßen haben. Und da es in der Welt des Gründers und Ex-CEO von X (als es noch Twitter hieß) nur zählt, wenn ihm möglichst viele dabei folgen, teilt er seine Gewohnheiten mit der Community auf den Sozialen Medien. Dort kann man erfahren, dass er an Wochentagen nur eine Mahlzeit zu sich nimmt, zwischen 18:30 und 21:00 Uhr, bestehend aus Fisch oder Geflügel und meistens grünem Gemüse, gemischten Beeren und Schokolade zum Dessert, begleitet von einem Glas Rotwein. Am Wochenende gibt es null Komma nada, genau genommen trinkt er von Freitag bis Sonntag nur Wasser. Das bringe ihm einen einzigartigen mentalen Fokus. Die besten Ideen kämen ihm in dieser Zeit des Fastens. Weiters kontrolliert der 47-Jährige seine Schlafqualität, die Erholungsgeschwindigkeit und die tägliche Aktivität, um daraufhin elektronisch unterstützt jene Schlafphasen anzupeilen, die man REM nennt. Sie sind wichtig, weil währenddessen die Regionen des Gehirns stimuliert werden, die der Mensch zum Lernen nutzt. Um 5:00 Uhr wacht er auf und steigt vom warmen Bett direkt ins Eisbad. «Nichts gibt mir mehr Selbstbewusstsein als die Fähigkeit, das über mich zu bringen», schildert er seinen Followern. Dies ermutigt ihn dazu, multiples Neues zu wagen. Meditation gefolgt von Intervalltrainingseinheiten à sieben Minuten kommen als nächstes. Dann ist er bereit für Höchstleistungen.
Illustration: Gérard Dubois
Als «The Godfather of Biohacking» gilt David Asprey, ein von Spitzenleistungen besessener Unternehmer, der neben seiner physischen und mentalen Performance bewusst seine Kreativität tunt. Er will «die Kunst und Wissenschaft, übermenschlich zu werden» perfektionieren. Auf seiner Marschroute zum Supermann hat er einige ziemlich abgefahrene Techniken ausprobiert, unter anderem Strom durch sein Gehirn laufen lassen oder sich Stammzellen injiziert. Seine spezielle Ernährungsform habe sein Gehirn geboostet und ihn zu einem vorbildlicheren Vater, liebevollerem Ehemann und besseren Menschen gemacht. Was tatsächlich nachweisbar ist: Immerhin hatte er diverse Geistesblitze, die sich in Firmen, unter anderem dem Nahrungsergänzungsmittelhersteller Bulletproof, niederschlagen, welche Produkte und Dienstleistungen anbieten, um das Leben von Millionen zu verbessern. Interessierte können auf der Website seine Diät-Roadmap herunterladen, die genau vorgibt, was wann und in welcher Menge zu essen und zu trinken ist.
Unter den bekannten Biohackern findet sich der Lifestyle-Guru Tim Ferris. Sie erinnern sich an das Ideal von der 4-Stunden-Arbeitswoche? Das war seine Idee. Mittlerweile ist der US-Amerikaner mehrfacher Bestsellerautor, hat den «4-Stunden-Körper» ebenfalls in ein gefeiertes Konzept verpackt und sprüht nur so von bahnbrechenden Einfällen. Die Navy SEALs nutzen Biohacking für eine kreativere und folglich raschere und effektivere Problemlösung. Mit der Eliteeinheit der US-Marine arbeiten Wissenschaftler, Psychologen und Ärzte unter anderem mit der Eskapismus-Methode, die es erlaubt, gedanklich aus Stresssituationen zu fliehen und einen unerwarteten Ausgang für den Druck zu schaffen. Auch die allzu menschliche Eigenschaft Faulheit überwinden sie mittels Selbstmanipulation.
Braucht es extremen Einsatz, um das Höchste zu erreichen?
Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihren kreativen Output vermehren und verbessern, indem Sie Ihr eigener Software-Ingenieur für Ihren Verstand werden. Was würden Sie alles mit sich anstellen für Goldideen? Und welchen Preis wären Sie bereit dafür zu zahlen? Keine Angst. Das Spektrum bietet für alle und für jedes Budget etwas.
Neurohacking konzentriert verschiedene Techniken und Technologien zur Verbesserung der kognitiven Funktionen und der Optimierung der Gehirnleistung. Das funktioniert zum Beispiel, indem die menschliche mit der künstlichen Intelligenz verschmilzt. Das von Elon Musk gegründete Unternehmen Neuralink will eine direkte Schnittstelle in Form eines Implantats zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern schaffen. So können wir dereinst auf Informationen sozusagen in einer Upgrade-Version zugreifen. Andere Start-ups in dem Bereich haben dasselbe Ziel, ohne gleich einen Chip implantieren zu wollen. Sie hantieren mit einer Mütze, die Echtzeitzugang zur Gehirnaktivität verspricht.
Nootropische Nahrungsergänzungsmittel werden als «intelligente Drogen» bezeichnet. Diese Präparate, ob chemischen oder natürlichen Ursprungs, sollen die kognitiven Funktionen verbessern, das Gedächtnis stärken und die Konzentration und die Kreativität fördern, indem sie in unsere neuronalen Netzwerke eingreifen. Achtung: Mikrodosen reichen aus, denn die Menge macht das Gift! Zu den Substanzen zählen Amphetamine genauso wie Bacopa monnieri (Kleines Fettblatt), Koffein, Nikotin, Ginseng oder Gingko Biloba.
Zu jedem kreativen Prozess gehört ein tiefer Entspannungszustand, um zum Resultat zu kommen, denn für den Aha-Moment oder die Erleuchtung braucht es eine vorhergehende Phase der Ruhe. Mittlerweile sind Tools am Markt, die eine entsprechende Stimmungsänderung durch Neurostimulation (schwache elektrische Impulse) herbeiführen.
Beim Neurofeedback wird das Gehirn dahingehend trainiert, dass es seine eigene Aktivität zu regulieren vermag. In unserem Fall lernen wir, die Gehirnfunktion zu optimieren, um laufend tolle Ideen zu haben.
Geht es auch mit weniger Aufwand?
Ja. Die 10 einfachsten Hacks für Kreativität:
1. Wasser: Eisbäder haben einen positiven Effekt auf unseren Körper, weil sie Entzündungen reduzieren. Zudem mag die Selbstüberwindung den Mut für Neues stärken. Aber man kann es sich auch gemütlicher machen und im Whirlpool seine Gedanken davonplätschern lassen. Nachgewiesen werden in solch einem Setting visualisierte Ziele in der Folge eher realisiert.
2. Mind Wandering, das Tagträumen oder Gedankenschweifenlassen, passiert wissenschaftlich gesprochen im Default Mode Network. Das ist wichtig, um zu originellen Ergebnissen zu gelangen.
3. Schlaf: Zu zahlreichen bahnbrechenden Erfindungen kamen die Genies praktisch über Nacht. Eine Schlafhygiene ist für alle Biohacker essenziell. Sie bezieht sich auf die Umgebung und das Verhalten. Darum ist eine abendliche Routine hilfreich: alle Lichtquellen dimmen, elektronische Geräte verbannen, Temperatur regeln.
4. Bewegung: Albert Einstein fuhr jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Schon 30 Minuten moderates Gehen, Laufen oder Velofahren pro Tag reichen.
5. Auf Meditation schwören Kreative jeglicher Branche. Einer der Bekanntesten ist der Regisseur David Lynch, welcher weltweit Zentren für Transzendentale Meditation initiierte. Die Wirkung von Meditation ist von tausenden Studien bestätigt: Es macht uns intelligenter, kreativer und glücklicher.
6. Intermittierendes Fasten bedeutet zwar, jeweils mindestens 16 Stunden lang nichts zu essen. Aber mit dem Verzicht geht nicht nur ein leichterer Körper einher, sondern das Anzapfen von Reserven, die teilweise aus beschädigten Zellen bestehen. Diese effiziente Form der inneren Reinigung bringt uns zu einem voll funktionsfähigen Ich.
7. Erdung klingt nach Esoterik oder Elektriker, ist aber Basisphysik. Wenn wir mit dem Planeten direkt in Berührung kommen, etwa wenn wir barfuß laufen, können die Elektronen fließen. Der Ionenaustausch mit der negativ geladenen Erde reduziert oxidativen Stress, der Gift ist für einen klaren Geist.
8. Der Atem stellt ein gigantisches Werkzeug dar. Wir können uns damit beruhigen oder anregen. Die Navy SEALs atmen sich zu mehr Treffsicherheit mit vier Sekunden einatmen, vier Sekunden halten, vier Sekunden ausatmen, vier Sekunden halten. Grundsätzlich sollte man nur durch die Nase atmen, denn die Luft wird von Partikeln gereinigt, befeuchtet und die Temperatur angepasst. Der Körper erhält mehr Stickstoffmonoxid, was die Blutgefäße erweitert und zu besserer Denkleistung führt. Wer es doch einen Hauch extremer mag, der probiert Mouth Taping; das Zukleben des Mundes beim Schlafen kurbelt die Regeneration an.
9. Alles auf Grün: In Japan und Südkorea verschreiben Ärzte Waldbäder als Therapie. Bei uns ist das natürlich auch ohne Rezept wunderbar möglich. Wahrscheinlich treffen Sie unter den Bäumen andere Biohacker beim Inhalieren der Terpene (pflanzliche Aromastoffe, die das Immunsystem anregen) in der Waldluft. Dank der Ruhe bauen Sie zugleich Stresshormone ab.
10. Selbstvertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Sollten Sie das Herumexperimentieren in messbaren Parametern auswerten wollen, stehen eine Fülle von Geräten zur Verfügung. Die Quantifizierung mit Devices, ob Apple Watch, Fitness-Tracker, Oura Ring oder CGM Monitor, ergibt vergleichbare Daten. Das gibt allenfalls Sicherheit und kehrt Vermutungen in belegbare Verbesserungen.
Haben Sie Lust darauf bekommen, sich zum / zur Über-Kreativen zu hacken? Dann könnte das vielleicht das ertragreichste Werbejahr in der ADC Switzerland Geschichte werden.
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