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Der Raum

Virtual Reality erlebt im Zuge fortschreitender Technologien wie Mixed Reality (MR) eine Art Renaissance. Die Frage ist schon länger nicht mehr, ob ein digitales Paralleluniversum entstehen wird, sondern wie diese Welt aussieht, damit wir möglichst viel Zeit dort verbringen. Die Antwort darauf entwirft Simon Husslein mit. Der Zürcher Gestalter ist Mitgründer eines Labors, das neue Archetypen für VR-Umgebungen erschafft. Als Professor für Innenarchitektur an der Hochschule für Kunst und Design in Genf erforscht er mit Studierenden verschiedene Wahrnehmungsaspekte in digitalen Räumen.

Simon Husslein

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Ob wir uns in einer digitalen Umgebung wohlfühlen, ist im Kern eine Ergonomiefrage. Im Moment versuchen die meisten VR-Erlebnisse, das Bekannte möglichst realitätsnah zu simulieren. Das ist aber zu wenig weit gedacht. Man erinnere sich an das Interface des iPhones, das am Anfang die geläufigen Tastenformen nachgestellt hat. Erst im nächsten Schritt traute man dem Benutzenden zu, das Smartphone direkter zu bedienen. Das Phänomen nennt man Skeumorphism, ein Begriff aus dem UX-Design, der beschreibt, dass Objekte in ihrer Gestaltung die Form eines vertrauten Gegenstandes nachahmen, ohne dass diese durch ihre Funktion begründet ist. Auch digitale Räume brauchen nicht einen Konferenztisch in VR, damit wir begreifen, dass man dort ein Meeting abhalten kann. Hier wird ein grundlegendes Umdenken stattfinden.


Wie wollen wir uns also fühlen in dieser digitalen Welt? Viele Raumqualitäten unserer physischen Umgebung sind nicht ins Digitale übertragbar. Ein Beispiel ist minimalistische Architektur, die für Ausstellungsorte oder für Räume zur Konzentration Anwendung findet. Diese Reduktion funktioniert nicht eins zu eins in der Übertragung. Ein digitaler Raum, der minimalistisch gestaltet ist, fühlt sich nach kürzester Zeit so tot an, dass man es darin nicht mehr aushält. Um dem entgegenzuwirken, lassen wir die Umgebung „lebendig“ werden, indem sie sich leicht bewegt, atmet, ihre Geometrie über Algorithmen harmonisch verändert. Das hat einen weiteren positiven Effekt: Man versteht, dass dieser Ort nicht physisch gebaut sein kann. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase wirkt das Szenario selbstverständlich und vor allem authentisch. Unsere Erkenntnis: Wir sollten für einen längeren Aufenthalt in VR physische Architektur nicht nachempfinden, denn so ein „Fake“ wird schnell entschlüsselt. Visuelle Impräzisionen oder ein widersprüchliches Raumklima etwa können für das Erlebnis in VR sehr störend wirken. Eine Person achtet dann vor allen auf verbleibende Unterschiede das Szenario selbstverständlich und vor allem authentisch. Unsere Erkenntnis: Wir sollten für einen längeren Aufenthalt in VR physische Architektur nicht nachempfinden, denn so ein „Fake“ wird schnell entschlüsselt. Visuelle Impräzisionen oder ein widersprüchliches Raumklima etwa können für das Erlebnis in VR sehr störend wirken. Eine Person achtet dann vor allem auf die Unterschiede zwischen der Simulation und der physischen Realität. So kann keine Qualität entstehen.


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Oskar Schlemmer Webereiklasse auf der Bauhaustreppe 1927 & Simon Husslein VR Atelier auf der HEAD-Genève-Treppe 2023

Foto: T. Lux Feininger (Bauhaus) & Guillaume Collignon (HEAD – Genève)


Dieses Problem der Inkongruenz gibt es in „abstract interiors“ nicht. Die Idee der Abstraktion beschreibt, dass die Texturen, die wir auf die animierte Geometrie mappen, keine direkte physische Referenz haben. Raumoberflächen sehen nicht aus wie Stein oder Holz, sie bestehen aus Verläufen, Fragmenten, fluiden Strukturen etc. Eine räumliche Präsenz der Person im digitalen Space, das sogenannte Embodiment, lässt sich dann durch Partikeleffekte noch zusätzlich verbessern. Effekte, die Rauch oder Schneeflocken ähneln, verbessern das Gefühl der Person, stabil verankert zu sein.


Für Marken, die den digitalen Raum für sich nutzen wollen, entsteht durch die Gestaltung abstrakter VR-Umgebungen ein äußerst interessantes Feld, welches der Corporate Architecture zugeordnet werden kann. Hier werden für die jeweiligen physischen Orte unterschiedliche Gestaltungsverhalten definiert. Headquarters, Showrooms, Messestände – jede Realisierung folgt einer eigenen Kausalität und wird somit sehr unterschiedlich ausformuliert. So wie ein Messestand keine Kopie eines Showrooms ist, sollte auch der digitale Raum einen Schritt weitergehen, denn es macht überhaupt keinen Sinn, einen Messestand in VR nachzubauen. Das ist das traurigsten Erlebnis, was du einem Besucher oder einer Besucherin bieten kannst. Die Kombination von nativen Inhalten und „abstract interiors“ hingegen, ermöglicht ein völlig neuartiges und höchst immersives Markenerlebnis, welches die Markenattribute weiter entfalten kann.


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Digitale Orte müssen mit Wichtigkeit gefüllt werden. Wenn wir dort Erlebnisse haben, die für uns von Bedeutung sind, dann wollen wir uns auch dort aufhalten. Gerade nachfolgende Generationen, für die digitale und analoge Erlebnisse miteinander koexistieren, werden nach dem Wert suchen, den das Erlebte für sie und ihre Erinnerung hat. Können sie in VR Freundschaften aufbauen, ihre „family“ kontaktieren und so weiter, hat das Signifikanz und sie werden mehr Zeit dort verbringen. Der Hook bleibt also der Content und nicht der Raum selbst.


VR wird (analog zu MR) das Miteinander in den Fokus rücken. Anstatt eines persönlichen Ereignisses, bei dem wir alleine etwas erleben, werden die neuen Headsets Menschen zusammenbringen – und der Austausch und die gemeinsame Erfahrung uns verbinden.


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SIMON HUSSLEIN ist Designer, Innenarchitekt und Professor

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