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Die Dramaturgie

Nora, Diego und Lionel Baldenweg sind gefragte Komponisten für Spielfilme und TV-Serien. Wenn GREAT GARBO für Marken wie Schweiz Tourismus, Sony, Sunrise, Swiss arbeitet, ist all diesen unterschiedlichen Projekten eines gemeinsam: Die Musik erfüllt bei den Spots eine emotionale und dramaturgische Aufgabe. Am liebsten ist das Geschwistertrio eingebunden in den kreativen Gesamtprozess. Warum das zu ausgezeichneten Ergebnissen führt? Hören Sie selbst.

Nora, Diego, Lionel Baldenweg

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Welchen Stellenwert hat Musik in der Werbung?

Diese Frage hat David Droga, der CEO von Accenture Song, Founder von Droga5 und übrigens der meistprämierte Werber bei den Cannes Lions, sehr gut beantwortet: «Musik ist eine der einflussreichsten Bestandteile einer Marke.»


Soll heißen: Werber wissen um die Bedeutung von Musik. Wenn gute Werbung im Zusammenklang mit guter Musik einen magischen Effekt für die Marke und das Publikum hat mit der Chance auf Awards, wieso machen es sich hierzulande viele zu einfach und setzen auf Archivmusik?

Zum Glück gibt es in der Schweiz nach wie vor viele tolle Werbespots, bei denen komponierte oder bekannte Musik das Gesamtbild abrundet. Dass sehr oft Archivmusik eingesetzt wird, wenn jemand denkt, es sei nicht so wichtig, zum Beispiel bei dialoglastigen Spots, fällt trotzdem auf. Das sind verpasste Chancen, diesen Spots eine weitere dramaturgische Dimension zu geben.


Wieso bleibt die Musik im Schaffensprozess eines Werbespots eher auf der Strecke?

Komponierende werden selten für den ganzheitlichen Entstehungsprozess einer Kampagne konsultiert und somit fehlt die professionelle Musikkompetenz bereits in der Konzeption. Generell ist die Musik auf konzeptioneller Ebene oft noch kein Thema oder es wird im abgeschotteten Kreativteam bereits darüber entschieden. Das ist suboptimal, wenn man bedenkt, dass für jeden kreativen Bereich – Konzept, Text, Kamera, Animation, Schauspiel, Schnitt, Sounddesign und Sprecheraufnahmen, Regie – jeweils eine Expertin engagiert wird und einzig die Musik im gesamten Prozess nicht professionell repräsentiert ist. Häufig wird die Musikverantwortung direkt an die Werbefilmproduktionen ausgelagert, welche für die Realisierung des Films um jeden Franken kämpfen muss. Da liegt es auf der Hand, dass auch bei der Musik gespart wird. Typischerweise lautet das Musik-Briefing dann ungefähr so: «Archivmusik im Stil modern mit Drive und elektronisch».


Wo liegt denn das Problem bei Archivmusik?

Beim fixen Tempo und dem musikalischen Grundgerüst. Vielleicht passt der Anfang, aber der Track bleibt in der Folge flach und es fehlen Pausen und aufbauende Gefühlswelten. Ist er speziell, dann muss sich der Werbefilm ihm anpassen bzw. sogar unterordnen. Man kann zwar einzelne Tonspuren oder Instrumente weglassen, aber Metrik und Aufbau können nicht beliebig verändert werden. Aufgrund dessen wird oft eine generische Musik ausgewählt, die nicht stört. Sie ist nur Dekoration und hilft nicht aktiv die Botschaft zu stärken. Eine Archivmusik wirkt nie wie die Faust aufs Auge zum Filmkonzept.


Welches Szenario kommt Ihnen bei der Produktion von Werbespots, wo das Thema Musik vernachlässigt wurde, immer wieder unter?

Wenn irgendein Platzhalter-Track bereits im Schnitt mehrmals gehört wird, gewöhnt man sich relativ schnell daran, egal ob dieser Platzhalter gut oder schlecht ist. Man vergleicht sogar jede neue Idee mit dem Platzhalter. Das nennt sich im Fachjargon «Temp Love» (Liebe für den Platzhalter). Das ist das Perfide am Gewohnheitstier Mensch. Die restlichen Beteiligten merken oft erst in der finalen Abnahme, dass das Gesamtresultat musikalisch noch mehr Potenzial hätte, oder im schlimmsten Fall, dass es wegen der falschen Musik doch nicht ganz berührt oder zu wenig relevant ist. Zu diesem Zeitpunkt ist es in der Regel zu spät, um das Thema Musik neu aufzurollen. Fazit: Trotz guter Idee, eindrücklicher Bilder und einer klaren Botschaft möchte der Zuschauer den Spot nicht unbedingt ein zweites Mal schauen.


Wie stehen Sie zur Verwendung eines bekannten Songs?

Schnitt und Dramaturgie müssen sich dem Song gewissermaßen fügen, aber der große Unterschied und Vorteil ist, dass man hier auf einen sicheren Wert abstützt. Teure Evergreens wie «Let It Snow!» von Frank Sinatra oder «Happy Xmas» von John Lennon und Yoko Ono, lösen ein vorgefertigtes Gefühl aus. Ein Nachteil kann sein, dass der Spot eher zum Videoclip für den Song wird anstatt umgekehrt, oder dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer den Song zwar merken, aber nicht die damit verbundene Marke.


Welchen Einfluss nimmt Künstliche Intelligenz in der Werbemusik?

Mit AI-Tools kann man mittlerweile ganze Songs in 30 Minuten mittels ein paar Stichworten kreieren, je nach Wunsch mit oder ohne Text, die besser klingen und günstiger sind als Archivtracks. Zwar ist die rechtliche Lage nicht restlos geklärt und kann ein Problem darstellen, aber grundsätzlich sind die Ergebnisse enorm eindrücklich und werden eventuell auf Dauer die beliebte Variante, sich bei günstigen Datenbanken zu bedienen, ersetzen. Gemäß Aussage der Verwertungsgesellschaft SUISA werden aktuell Songs, welche rein durch einen AI-Generator entstanden sind, nicht akzeptiert und lizenziert für die Verwendung in einer Werbekampagne. Songs, welche von einer Person mithilfe eines AI-Tools komponiert wurden, wobei der Mensch eine schöpferische Tätigkeit einbringt, werden hingegen akzeptiert.


Worin hören und sehen Sie den Unterschied bei extra komponierter Musik für eine Werbung?

Eine maßgeschneiderte Komposition mag zwar teurer sein, der Vorteil ist jedoch die Flexibilität im Prozess. Man kann viel intensiver auf eine Geschichte eingehen. Der Film wird ja normalerweise zuerst fertig geschnitten und man achtet – nebst der Optik – hauptsächlich auf den Dialog. Damit die Dramaturgie nun optimal gestützt wird, ist es unerlässlich, die Musik genau auf die Geschichte abzustimmen.Sie befördert die Grundidee, den Rhythmus der Geschichte und das Setting. Sie hilft dem Zuschauer, Idee und Botschaft auf einer weiteren Ebene bestmöglich zu verstehen und die volle Aufmerksamkeit dafür zu bekommen.


Das heißt, Co-Kreation von Agentur, Kunde und Regie erzielt die effektivsten Ergebnisse?

Die besten Resultate entstehen durch eine transparente Zusammenarbeit aller Entscheider (Kunde, Kreative, Filmemacher und Komponisten). Jede beteiligte Person hat einen Blickwinkel, aber in den wenigsten Fällen sind alle Blickwinkel im Briefing enthalten. Deshalb finden wir es sehr wertvoll, früh im Prozess einen Roundtable zu ermöglichen, an dem alle zu Wort kommen. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies eine effiziente und sinnvolle Zeitinvestition darstellt. Schlussendlich prägen alle einen substanziellen Teil vom Endergebnis mit.


Wie wichtig ist der Musikstil in einer Werbung?

Während der Musikstil zwar prägend ist, hat die musikalische Dramaturgie oft Vorrang.


Wieso ist der Musikstil weniger wichtig in der Werbung?

Obwohl der Musikstil ausschlaggebend ist für Radiokonsumenten, Barbesucher, Clubber oder Konzertbesucher, fällt er für Werbekonsumierende in der Kombination von Musik und Bild weniger ins Gewicht. Die Dramaturgie zusammen mit dem Tempo, der Pause, dem Wechsel oder dem Einsatz gibt den Ausschlag. Als Tüpfelchen auf dem I stimmt die authentische Umsetzung umso mehr. Ein guter Werbekomponist oder eine Werbekomponistin taucht gerne ein in verschiedene Stile und setzt sich damit auseinander, was ein jeweiliges Genre so einzigartig macht. Dabei findet man heraus, dass jede Musikrichtung „dos and don’ts“ hat und dass jede woanders in die Tiefe geht. In puncto Werbung muss man die Stilelemente hauptsächlich als Triggerpunkt verwenden. Wenn die dramaturgischen Regeln gut umgesetzt werden, dann ist es dem Publikum eher egal, welche Musikrichtung verwendet wurde. Den Zuschauerwunsch darf man auf einer anderen Ebene bedienen.


Wie steigert man durch Musik das Interesse am Produkt?

Die Wahl der Musik trägt dazu bei, Identität und Werte einer Marke zu stärken. Die Metrik und der kompositorische Aufbau sollten dabei Gefühle wie Begeisterung, Freude oder Betroffenheit unterstreichen. Grundsätzlich sollte eine Szene nicht musika­lisch verdoppelt werden, sondern einen Kontrapunkt bekommen. Der persönliche Geschmack des Werbetreibenden sollte musikalische Entscheidungen nicht zu sehr dominieren. Ob ein Werbefilm neugierig macht oder gleich als Werbung abgetan und weggeklickt, -gewischt oder -gedrückt wird, beeinflusst ziemlich oft die Musik.

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