Die Philosophie
Matteo Thun zählt zu den namhaften Designern und Architekten der Gegenwart. Er war Mitgründer des Designkollektivs Memphis und Schöpfer von ikonischen Stücken. 1984 gründete er sein gleichnamiges Designstudio, in dem er sich als einer der einflussreichsten Stimmen seiner Generation etablierte und u.a. Projekte für Alessi, Illy, Campari, Zwilling, Swatch, WMF, Venini, Zumtobel, The Langham, Falkensteiner, Flos, JW Marriott, Porsche, Boss, Philips, Nivea uvm. verwirklichte.
Matteo Thun
Am 11. September 2001 haben wir das Wort Nachhaltigkeit in unseren Design- und Architekturstudios begraben. Uns war der Begriff zu inflationär. Wir haben im selben Moment eine umfassendere Idee geboren: Sie heisst Consciousness. Damit ist zum einen ein neues Bewusstsein beim Design gemeint. Es soll alle Sinne ansprechen, gleichzeitig die Kultur einbeziehen und stets aktuell bleiben. Zum anderen beinhaltet der Leitgedanke drei Nullen, nämlich null Kilometer, null CO2, null Abfall.
Wir beschreiten damit einen Weg, der sich innerhalb der Leitlinien zeitlos, integriert und sensorisch auftut. Um ihn mit den poetischen Worten von Johann Wolfgang von Goethe zu beschreiben: «Mit den Händen sehen, mit den Augen fühlen».
Für mich ist das übrigens der einzig gangbare Weg. Ich erinnere mich an meinen ersten Auftrag als Designer. Damals habe ich mit Ettore Alessi, dem technischen Direktor des italienischen Familienunternehmens, heftig diskutiert, warum eine Bodenplatte für ein Essig- und Ölgefäss doppelwandig sein muss. Sein vorhersehbarer Kommentar: „Das ist alles zu teuer, was Sie uns vorschlagen“, denn die dadurch generierte Monumentalisierung auf dem Tisch kostete zwar mehr, doch da sein junger Neffe Alberto Alessi als Art Director der Firma auf meiner Seite stand, siegte ich am Ende. In Wahrheit ein Segen für alle Beteiligten, denn nur mit der Leidenschaft für das kleinste Detail kann aus einem Produkt eine Ikone werden, welche heute zu den meist kopierten Objekten in der Gastronomie gehört.
Der Irrtum: Design liegt für mich weit weg von Zeitgeist und hat eigentlich mit einer Designphilosophie gar nichts zu tun. Der hervorragende Gebrauchswert steht im Vordergrund und überwiegt jede Designprämisse, sodass die entstandenen Produkte ewig Bestand haben. Die Form folgt dabei dem Gefühl und stellt die emotionale, sinnliche Beziehung zwischen Mensch und Objekt her.
Um diesen Fokus dem Kunden besser zu vermitteln, kreieren wir für jeden unserer Entwürfe spezielle Trendcharts. Meine Frau Susanne hat diese einst in unseren Büros etabliert. Durch ihre Wurzeln in der Mode, ihr Interesse und ihr Gespür hat sie die Fähigkeit, mehrere Jahre im Voraus zu planen. Sie fungierte sozusagen als Radar in unserem Büro. Damit die Kunden etwas Greifbares vor sich haben und das Ergebnis nachvollziehen können, gestalten wir aufwändige Moodboards – von der Sonnenbrille bis zur Uhr. Dies Mühe machen wir uns aus Überzeugung und sehen es als eine unserer Stärken an. Ebenso füllen wir für jedes Projekt Material Boxes, die für sich wirken. Der Kunde greift die Materialien an und sagt sofort gemäss seinem Bauchgefühl / seiner Intuition „wow, so kann ich mir das vorstellen“.
Bei der Architektur zieht sich in diesem Sinn die Seele des Ortes als roter Faden durch unsere Bauprojekte. Wir respektieren stets den sogenannten Genius Loci und lassen uns von ihm bei der Planung leiten, sodass jedes Vorhaben seine eigene Identität erhält. Das Wesen des Ortes bestimmt den Stil der Architektur. Und überwiegt zumeist die Wünsche des Kunden.
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