Ich glaube an Gott
An alle, die lieber Salieri hören als Mozart. An alle, die lieber Arztromane lesen als Rilke. Lieber «Godzilla» gucken als «The Brutalist». Lieber an ein Helene-Fischer-Konzert gehen als zu Pronto. Und jene, die das Mittelmass kultivieren. Bitte weiterblättern.
Thomas Wildberger
Hallo, noch jemand da? Schätzungsweise sind jetzt noch ungefähr 10 Prozent aller Einstiegsleserinnen und -leser in diesem Artikel. Herzlich willkommen. Wie ihr richtig vermutet, geht es hier um eins: höchste Qualität. Und wie lässt sich kreative Exzellenz besser beschreiben als mit einer universellen Sprache? Es gibt ein Video von Leonard Bernstein. Der Komponist und Dirigent sitzt am Flügel und spielt Beethoven. Maximilian Schell sitzt neben ihm und fragt ihn, was Beethovens Werke so interessant mache. Er antwortet, dass es für keine der verwendeten Noten eine bessere gäbe, als hätte Beethoven einen direkten Draht in den Himmel gehabt, durch den ihm eine höhere Macht Ton für Ton eingeflüstert hätte. «God-given.» Diese Gabe haben Kreative. Allerdings gibt es auch unter uns ein Gefälle, sodass ich der Erfahrung nach weiss: Nur 10 Prozent der Kreativen sind verdammt nahe dran an der Genialität. Und zeichnen sich übrigens nicht selten durch ein besonderes Merkmal aus: eine ADC-Mitgliedschaft.
Nun wird auch Kreativität (aber eben nicht kreative Exzellenz) von KI erzeugt. Und das wird so bleiben, denn bei KI handelt es sich nicht mehr um einen Megatrend, sondern eine Evolution in unserer Menschheitsgeschichte. Wir müssen auch gar nicht mehr darüber reden, dass dadurch Jobs abhandenkommen. Was mit den Illustratorinnen, Fotografen, Grafikerinnen und Textern gerade passiert, kann man woanders nachlesen. Aber wer nicht wirklich an guter Werbung interessiert ist, sollte sowieso die Branche wechseln, denn den Mainstream kann man getrost der KI überlassen, die sich für Standardlösungen prima eignet. Immer schon war das Gros aller Werbung nur Reklame, die künftig jede Kommunikationsabteilung von einer KI ausspucken lassen kann. Für alle anderen ist es einfach eine weitere Inspirationsquelle, die sie wie jede andere nutzen – ob Netflix-Serie, Waldspaziergang, Buchlektüre, Städtereise oder Tramfahrt. Als Impuls, der vielleicht einen schlauen Gedanken zündet, den Geistesblitz entfacht, aus dem etwas Ungewöhnliches entsteht. Eine Werbeidee oder eine Markenstrategie, die beim Weiterdenken immer mehr Gestalt annimmt. Darum müssen Kreative die Arbeit selbst machen, eben Schritt für Schritt den ganzen Weg gehen.
Dem stimmen mir by the way mehr als 1000 Musiker, darunter Kate Bush, Elton John und Cat Stevens, still und leise zu. Sie protestieren gerade mit einem gemeinsamen «Silent Album» gegen die geplante Änderung des britischen Urheberrechts, welche es den Technologieunternehmen ermöglichen würde, KI-Modelle mit den Songs, der Literatur oder den bildenden Werken von britischen Künstlern zu trainieren. Damit aus genialen Erzeugnissen etwas Künstliches zusammengewürfelt werden kann.
Als ich kürzlich von dem fatalen Ausgang des KI-Fussballtrainer-Experiments las, machte sich Freude breit. Es ist doch völlig klar, dass so eine Trainermaschine sich nur aus dem Wissen über Aufstellungen, Passgenauigkeiten, Fitnesswerte, Statistiken speist, also aus dem, was war, Entscheidungen ableitet. Eine Anweisung aber, die dem Spiel eine neue Wendung geben soll, braucht den Augenblick, die Intuition. Wenn der Trainer aufs Feld schaut zum etatmässigen Elfmeterschützen und merkt, der packt das heute nicht, dann nimmt er seinem Gefühl folgend einen anderen, dem er den Siegtreffer zutraut. Diese Momentaufnahme kann keine KI liefern, die nämlich den bestimmt, der in der Vergangenheit schon 47 Elfer verwandelt hat, und demjenigen, der das bisher nur zwölfmal getan hat, rein zahlenmässig keine Chance gibt.
Übrigens blicken gute Kreative so gut wie nie in die Vergangenheit. Je weniger man weiss, desto besser das Resultat. Das ist tausendfach bewiesen und eine Motivation dafür, sich seine Naivität zu bewahren. Nichts Faktenbasiertes als gegeben zu nehmen. Immer nur nach vorne zu schauen. Ich für meinen Teil habe meine ganze Karriere lang nie zur Inspiration im «Lürzer’s Archiv» geblättert, denn das ist ein Unding, das sich leider als Klassiker etabliert hat, um auf Ideen zu kommen. Denn man speichert das Gesehene ab, und irgendwann kommt eine Idee raus, von der man denkt, die sei neu, was sie aber gar nicht ist. So entstehen zwangsläufig Dubletten. Mittels KI-Werbung zu machen, schliesst sich folglich mit unserem Berufsethos aus. Das wäre, als würden wir Kampagnen nehmen, an die sich hoffentlich keiner mehr erinnert. Und dann das böse Erwachen, wenn jemand draufkommt: Das gab’s doch schon. Als Kunde würde ich in dem Fall den berechtigten Einwand bringen: Warum bezahle ich Sie für einen alten Hut? Dafür können wir, wenn es eine Idee noch nicht gab, argumentieren: Die kostet mehr. Dass nie Dagewesenes auch besser funktioniert, ist nachgewiesen: Insbesondere erziele Werbung, die durch hohe kreative Qualität besteche, einen viermal höheren Return on Investment (ROI) als Werbung von geringer kreativer Qualität, statuiert ein Report von McKinsey aus 2024 – als einer von vielen.
Warten wir mal ab, wie viele IQ-Punkte uns die künstliche Intelligenz kollektiv kosten wird, sprich, ob wir alle dümmer werden, bequemer, uns schneller zufriedengeben. Und wie steht es um die Glaubwürdigkeit einer Werbung, die von einer Maschine erdacht wurde und wo ein gepromptetes Wesen uns die Wirkung eines Produkts, beispielsweise einer Hautcreme, auf den Menschen zeigt? Ich würde das hinterfragen. Und mir ein Prüfsiegel wünschen: KI-generiert, diese Werbung entstand ohne Verwendung von Menschen. Und das umgekehrte Gütezeichen: Originated by human. Und deswegen garantiert neu. Und deswegen auch teurer zu bezahlen (siehe oben).
Seid ihr noch da? Dieser Text ist originated by human. Vielleicht ein bisschen wired to heaven.
THOMAS WILDBERGER ist ADC-Präsident und Partner der internationalen Beratungsagentur Prophet. Er war Kreativchef und CEO von Publicis und Werber des Jahres.
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