In den letzten zehn, zwanzig Jahren wurde Englisch als fünfte Landessprache in die Schweizer Werbebranche geschmuggelt. Nicht bei Nacht und Nebel, sondern ganz offen und transparent in Form von Briefings, E-Mails und täglichen Meetings. Es ist heute par for the course, dass englisch geschrieben, englisch diskutiert, englisch präsentiert wird. Für die meisten in unserer Branche stellt dies kein allzu großes Problem dar. Netflix- und internetgestählt bewegen wir uns trittsicher und elegant auf dem angelsächsischen Parkett und verkaufen, was das Zeug hält. Alles easy also? Nope. Denn spätestens wenn alle Beteiligten endlich die Freigabe erteilt haben, heißt es oft: „Oh, und, by the way, bitte ab jetzt alles auf Deutsch/Französisch/Italienisch.“ Wie gesagt: Shit.
From bad to worse
Zugegeben: Unsere schöne Schweiz war noch nie ein Paradies für die schreibende Zunft. Die vier Landessprachen (praktisch gesehen drei, wenn wir ehrlich sind) bedeuteten schon für so manches spitzfedrig geschriebene Konzept den Tod, weil es sich mit aller Macht dagegen sträubte, sauber in alle Sprachen übertragen zu werden. Und vom Schweizerdeutschen mit seinen vielen Dialekten wollen wir hier gar nicht erst sprechen. Durch den ungebremsten Siegeszug des Englischen in der Werbebranche wurde aber alles noch zusätzlich verkompliziert. Denn: Auf Englisch klingt und liest sich vieles von Haus aus einfach awesome. In der Regel kürzer, keine Du/Sie Problematik, weniger Satzzeichen, eine Groß-/Kleinschreibung, die eher Empfehlung als Pflicht ist – ein wahrer Wild West für Copywriter. Bis dann eben der oben erwähnte Nebensatz kommt und es darum geht, ebenso smart, ebenso punchig und ebenso instagrammable auf Deutsch zu sein. Dann steht man plötzlich am modernen Röschtigraben. Oder besser: am Roeshtigraben.
From translation to transcreation
Klassische Übersetzungsbüros haben in der Vergangenheit viel von diesem Mehraufwand abgefangen. Heutzutage können auch DeepL und andere AI-gestützte Dienste hier sehr nützlich sein. In vielen Fällen ist auch genau das verlangt: eine Übersetzung. Wenn’s aufgeht, dann geht’s auf – done and done. Doch was, wenn das gesamte Konzept zwar hervorragend auf Englisch funktioniert und verkauft wurde, aber auf Deutsch irgendwie bockt? Wenn es irgendwie einfach nicht so recht matchen will? Wenn der twinkle in the eye dabei verloren geht oder sich komplett anders präsentiert?
Ab diesem Moment müssen Agenturen zwangsläufig oft zweispurig arbeiten. Einerseits müssen sie sicherstellen, dass das Endprodukt – das, was dann draußen zu sehen sein wird, ihre Visitenkarte – perfekt funktioniert. Andererseits müssen sie gleichzeitig mit Backtranslations arbeiten, um die hart erarbeitete Freigabe nicht zu gefährden. Mit dem Resultat, dass dann plötzlich Non-Natives anhand dieser rein praktischen Backtranslations über deutsche, französische, italienische Headlines und Texte urteilen müssen. Not cool.
Ab diesem Moment braucht es eben nicht bloß Übersetzungsleistung, sondern Transkreation. Was im Grunde genommen eigentlich nichts anderes als „Kreation“ bedeutet. Denn auch wenn die Grundidee gesetzt ist: Alles andere ist es nicht. Darf es nicht sein.
Start over ...
Darum ein Vorschlag meinerseits zur zukünftigen best practice: Einfach nochmals neu beginnen. Back to square one gehen und die Kampagne, die man im Englischen schon zu Ende gedacht hat, in den verschiedenen Sprachen nochmals neu denken. Muss die Mechanik geändert werden? Müssen wir ein Wort für uns neu erfinden und claimen? Müssen wir gar den Slogan ändern? Denn nicht mal der darf heilig sein, wie sich anhand einiger Beispiele aus der Vergangenheit unschwer beweisen lässt:
«Every Lidl helps.» Ein Paradebeispiel an englischem Copywriting. Witty und ownable. «Jeder Lidl hilft.»? Not so much. «Lidl lohnt sich» wurde es in der Schweiz.
«Because you’re worth it». L’Oréal Paris sagt es seit über 50 Jahren. Auf Deutsch kehrten sie aber kurzerhand die Perspektive: «Weil ich es mir wert bin.». Doch manches lässt sich auch beim besten Willen nicht wirklich übersetzen. KFCs „It’s finger lickin’ good.“ auf Deutsch? Yikes.
Natürlich sind das Grundsatz-Entscheide, zu denen man nicht wirklich gerne zurückkehrt. Schliesslich hat man sie eben erst nach viel Aufwand abhaken können. Und doch sind es Fragen, die hierzulande absolut prioritär behandelt und beantwortet werden müssen. Und wenn’s dazu mehr Ressourcen braucht, braucht’s das eben.
... or don’t.
Natürlich muss man heutzutage aber nicht mehr alles vom Englischen ins Deutsche übersetzen, wenn man nicht will. Die Durchdringung der Sprache in unserer Gesellschaft ist ziemlich weit fortgeschritten und es gibt zahlreiche Beispiele von Brands, die exklusiv in Englisch kommunizieren – auch Schweizer Brands. Das funktioniert vor allem im Hochpreis-Segment ohne grosse Probleme. Oder dann, wenn’s wirklich ganz basic ist – „Just do it.“ lässt grüssen. Doch es gilt achtsam zu bleiben und nicht nur von sich selbst auf die Gesamtgesellschaft zu schliessen. Bloss, weil das eigene Umfeld ziemlich sattelfest Englisch spricht, heisst das nicht, dass die eigentliche Zielgruppe das auch tut. Fragen Sie doch mal Douglas, wie „Come in and find out“ in der deutschsprachigen Welt angekommen ist.
TL:DR
Der durch den Einzug des Englischen entstandene Roeshtigraben macht den Schweizer Schreibenden das Leben ganz schön schwer. Er ist aber auch eine Chance, massgeschneidert auf Schweizer Zielgruppen zu kreieren. Am Ende hängt alles davon ab, wie viel Zeit und Ressourcen man für eine perfekte Umsetzung aufwenden will. Und etwas Positives hat dieser Siegeszug des Englischen durch die Schweizer Werbung dann übrigens auch noch: Für die Eingaben an internationalen Award-Shows steht meist schon alles bereit.
Sweet.
DAVID LÜBKE ist Freelance Creative Director für Text und Konzept. In den letzten 15 Jahren hat er zweisprachig für zahlreiche nationale und internationale Marken geschrieben und konzipiert. Dabei hat er nicht nur sämtliche der oben beschriebenen Situationen erlebt, sondern auch zahlreiche weitere sprachliche Hürden genommen. daveluebke.ch
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