ADC

ADC Switzerland

Menu

Was wir von Franz Beckenbauer lernen können. Ein Nachruf auf den Mann, der die beste Imagekampagne aller Zeiten verantwortet.

11.01.2024 16:46

Text von Thomas Wildberger

Sie fragen sich vielleicht, warum der ADC einen Nachruf auf einen Fussballer bringt. Ganz klar, weil es keine bessere Quelle für Metaphern gibt, die mir in meiner 30-jährigen Karriere als Werber mehr zupass kam, als der Fussball. Franz Beckenbauer hat einst gesagt: «Ich bin ja gelernter Versicherungskaufmann. Stellen Sie sich mal vor, ich wäre heute noch jeden Tag in der Versicherung. Gut, die Allianz wäre dann mit Abstand das grösste Unternehmen der Welt.» Diese Beckenbauer-Power zieht und ich könnte mir daher sehr gut vorstellen, dass er auch ein klasse Chef einer Werbeagentur gewesen wäre. Denn so, wie er seinen Beruf ausgeübt hat, kann man sich einiges abschauen. 



Bildquelle: KEYSTONE/SUEDDEUTSCHE ZEITUNG/Photo Werek
 

Warum der Fussball der Werbung ähnelt? 

Manchmal kann einem das ganze Spiel über nichts gelingen und erst kurz vor Schluss verhilft die eine entscheidende Aktion – in unserem Metier der rettende Einfall – zum Sieg. Die ganze Kreativlaufbahn besteht aus trainieren, nämlich Ideen machen, wovon mehr auf dem Trainingsgelände bleiben, als in den Match geschickt werden. Als Creative Director ist man eine Art traditioneller Zehner, der vielleicht selber gar nicht so viele Tore schiesst, aber unzählige Vorlagen liefert. Als Manager ist man wie ein Trainer, der an der Seitenlinie steht und die Kreativen voller Vertrauen agieren lässt bzw. ihnen die idealen Rahmenbindungen für Grossartiges schafft. Zudem ist es an ihm, eine Philosophie zu entwickeln, die immer und überall als Handschrift durchschlägt. Wie beim FC Bayern, der auch in neutralen Trikots durch sein Auftreten als solcher erkennbar wäre oder bei einer Kampagne von Ruf Lanz. Auf den Rängen sitzt die Zielgruppe, die nix Langweiliges sehen will, und eigentlich würde ich mir wünschen, dass schlechte Werbung ähnlich einer miserablen Leistung im Stadion ausgepfiffen oder halt wie in Madrid ein wenig gepflegter mit dem Schwenken weisser Taschentücher abgestraft wird. Nicht zu vergessen die zahlreichen Helfer, vom Platzwart angefangen, der die Bälle aufpumpt, sprich in unserer Welt der ITler, der dafür sorgt, dass die Rechner funktionieren. Beiden Bereichen gemein ist zudem das Auf und Ab und die Tatsache: «Abgerechnet wird am Schluss» (Kreativranking). Und so weiter und so fort. Und vor allem haben Werber und Fussballer ein verbindendes Element: Spass. Wenn jemand mit Freude, Leichtigkeit, Leidenschaft und Spass bei der Sache ist, sieht man das der Arbeit an. 

Ein Texter wird allmählich zu einem wichtigen Teil des Teams und bestenfalls zum Leader, der Preise gewinnt, die den Marktwert bestimmen. Die Person muss im richtigen Moment wissen, dass es nun Zeit ist für die nächste Stufe und zu welcher Mannschaft sie wechseln sollte. Dass so jemand nicht plötzlich wieder nur Packungsbeilagen texten will, sondern stets nach Höherem strebt, nach noch grösseren, globalen Kampagnen, liegt auf dem Fuss. Bei Beckenbauer war das nach dem Gewinn der WM als Spieler und als Trainer die WM ins eigene Land zu bringen. Was werden gerade jetzt alles für Schauergeschichten über dieses Sommermärchen erzählt. Meiner Ansicht nach ist es im Moment unangebracht, den Skandal, der 2015 hochkam, dem Kaiser vorzuwerfen. Er hat wohl nichts getan, was in der Zeit (leider!) nicht unüblich war. Alle, die damals weggeschaut haben, wussten insgeheim: Eine WM bekommt man nicht, die holt man sich. Dafür muss man einen Preis zahlen. 


Ich war dabei 

Ich kann mich erinnern, als wäre es heute. 2000 sass ich in Hamburg in einem Konferenzraum und über Mittag wurde live im Fernsehen die WM-Vergabe übertragen. Der Moderator fragte Günther Netzer, als sich der Tross mit den Funktionären vom FIFA-Hauptsitz in Bewegung Richtung Kongresshaus gesetzt hatte, wie lange das nun dauern würde. «Die haben ja nicht alle einen Ferrari wie ich, darum wird es schon 20 Minuten dauern», meinte Netzer. Eine halbe Stunde später stand fest: Deutschland bekommt den Zuschlag. Franz Beckenbauer gelang also auch dieses Unterfangen, für das er sich jahrelang eingesetzt hatte. 

2006. Ich war dabei. Ich hab’s gesehen, wie das in Deutschland war. Schon davor habe ich über zehn Jahre in Deutschland gelebt und bin nicht geschichtsblind. Trotzdem habe ich mich öfters gefragt, warum jeder, der mit einem Deutschlandwappen auf dem T-Shirt rumlaufen wollte, sofort in die rechte Ecke abgeschoben wurde. Am 9. Juni war ich in München. Die Tage davor hatte es geregnet und es war kalt. An diesem Freitag fing im wahrsten Sinn des Wortes der Sommer an. Der Anpfiff versetzte das Land in eine vierwöchige Euphorie. Es wurde quasi der Ausnahmezustand ausgerufen, in dessen Verlauf sich eine komplette Gesellschaft 180 Grad gewandelt hat. 

Ein Schlüsselmoment war für mich das Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien, welches ich in der Kulturbrauerei in Prenzlauerberg beim Public Viewing verfolgte. Aus unerklärlichen Gründen hat Pekerman, der Trainer der leicht favorisierten Argentinier, nicht nur Riquelme ausgewechselt, sondern auch Messi nicht eingewechselt. So haben es die Deutschen ins Elfmeterschiessen geschafft. Die Spannung war derart unerträglich, dass ich mit dem Fahrrad vor dem ersten Schuss nach Hause gefahren bin, um mir den Elferkrimi lieber allein anzuschauen. Ich radelte durch ein menschenleeres Berlin und bin mir vorgekommen wie Tom Cruise in «Vanilla Sky». Da habe ich gewusst: Das ist das neue Deutschland, eine Nation, die hinter einem Produkt namens Nationalmannschaft steht. 


The FAB

Am Ende wurde Deutschland Dritter. Weltmeister wurde Italien. Doch nach diesen vier Wochen war nichts wie zuvor. Man lag sich in den Armen, die Deutschen liebten sich. Alle feierten miteinander, waren freudig und locker, sogar Oliver Kahn. Es war in Ordnung, mit Stolz ein Deutscher oder eine Deutsche zu sein. Und die Welt hatte die Deutschen auf einmal gern. 

Für diese geniale Imagekampagne heiligt der Zweck die Mittel. Und im Verhältnis zum Erfolg hat sie sehr wenig gekostet. Persönlich finde ich es scheissegal, wie es dazu kam – es ist ja kein Mensch auf dem Weg dorthin gestorben (siehe Katar). So etwas Fabulöses konnte nur «The FAB» Franz Anton Beckenbauer erreichen. Dafür muss man ihm dankbar sein. Punkt.

So. Und jetzt geht’s raus und macht’s Werbung.