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Eine Frau ist nicht genug

Wie weibliche Ideen gehört werden, erklärt die Philanthropin Carolina Müller-Möhl im Gespräch mit ADC Präsident Thomas Wildberger. Ein Dialog über Veränderungen, Gleichstellungszwang und entscheidende Ausnahmen.

Sherin Kneifl

2023

Philanthropin Carolina Müller-Möhl
Philanthropin Carolina Müller-Möhl
Per Kasch

Thomas Wildberger: Schön, dass Sie sich für ein Gespräch in der «annabelle ADC Sonderausgabe» zur Verfügung stellen. Der ADC juriert ja einmal pro Jahr die beste Werbung …

Carolina Müller-Möhl: Oh Moment, da habe ich eine! Ich möchte beim Thema «gelebte Gleichstellung» vorankommen. Eine Frau gründet hierzulande in der Regel mit dreissig eine eigene Familie. Viele scheiden in der Folge ganz oder grossteils aus dem Arbeitsmarkt aus. Das ist negativ für unsere Volkswirtschaft. Erstens fehlen wichtige Fachkräfte. Zweitens ist es ineffizient, diese Frauen zunächst lange und teuer auszubilden, wenn sie dann zu Hause bleiben. Drittens schmerzt es die Frauen selbst am meisten, denn investieren sie nichts oder wenig in ihre Vorsorge, riskieren sie, in die Armut zu rutschen. Altersarmut in der Schweiz ist hauptsächlich weiblich. Wir wollen das mit unserer «Taskforce 4 Women» ändern. Wir möchten unter anderem den jungen Frauen schmackhaft machen, dass sie eine berufliche Laufbahn ansteuern sollen. Das könnten wir doch mittels einer Werbekampagne tun: Ein Plakat mit einer modischen Tasche darauf und der Botschaft: Du willst die Tasche kaufen? Geh arbeiten! #selbstistdiefrau.

TW: Nette Idee, würde aber bestenfalls auf die Shortlist kommen. Wäre es nicht die bessere Aussage, den Frauen – egal ob verheiratet oder ledig – einfach zu vermitteln, sie sollen nicht aufhören zu arbeiten? Dort sehe ich das Hauptproblem. Man sucht sich einen Beruf und in einem gewissen Alter wird die Familienplanung zum Damoklesschwert. Angeblich fällt eine Frau, die hier ein Kind bekommt, für fünf Jahre aus dem Arbeitsmarkt. Der Wiedereinstieg ist nicht nur schwer, sondern vielleicht auch nur mehr in Positionen möglich, die keinen Topverdienst und nicht mehr die grosse Karriere zulassen.

CMM: Eben. Und genau das gehen wir an. Mehrheitlich arbeiten die Frauen in der Schweiz weniger als fünfzig Prozent. Das ist zu wenig, um sich allein finanzieren zu können ohne Zustupf vom Partner oder anderweitige Unterstützung. Darum bräuchte es eine Aufklärungskampagne. Wer ein eigenständiges, selbstverantwortliches Leben führen will, sollte über siebzig Prozent arbeiten. Das ist 2023 rein rechnerisch nötig.

TW: Es braucht vor allem mehr Vorbilder: Frauen, die zeigen wies geht. Mehr Sheroes.

CMM: Leider gibt es noch zu wenige Sheroes und damit einhergehend zu wenig Nachahmerinnen. Und dafür gibt es mehrere Gründe. Von den unzureichenden Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie über die Sticky Floors in den Unternehmungen bis hin zu den unbewussten Vorurteilen. Um das Dilemma zu lösen, ist ein gesellschaftlicher Dialog in der Schweiz wichtig sowie der Blick über die Grenzen. Es sollte doch unser Ziel sein, dass wir alle die verschiedenen Lebensbereiche gleichwertig verfolgen können: Privatleben mit Familie, Freunden und Hobbys sowie Job und Milizarbeit.

TW: Für ein glückliches Leben muss alles zusammenpassen. Wenn man den Job nicht als Arbeit ansieht, sondern quasi das Hobby zum Beruf gemacht hat, möchte man wahrscheinlich unbedingt wieder zurück. Weil man etwas sehr gern gemacht hat. Vielleicht haben Frauen oft die falschen Jobs. Oder sie befinden sich auf einer Karrierestufe, wo sie sich nicht mehr wohlfühlen. Ich glaube nicht, dass Schweizer und Schweizerinnen so anders ticken als die Menschen in Frankreich oder Schweden.

«Für mich zählen nur Ideen, gute Ideen. Und denen ist es egal, von wem sie kommen»: ADC Präsident Thomas Wildberger
«Für mich zählen nur Ideen, gute Ideen. Und denen ist es egal, von wem sie kommen»: ADC Präsident Thomas Wildberger
Per Kasch

CMM: Ich meine schon, dass die Schweiz eine konservative Gesellschaft ist. Das Frauenstimmrecht ist ja im europäischen Vergleich sehr spät eingeführt worden. Eng damit verknüpft ist die Eigenständigkeit. Und wiederum eng damit verknüpft ist das Thema Finanzen. Um den richtigen Umgang mit Geld und finanzielle Unabhängigkeit zu fördern, plädiere ich für e in entsprechendes Fach i n der Schule, «Financial Literacy» oder «finanzielle Allgemeinbildung».

TW: Derzeit haben wir diesbezüglich schlechte Vorbilder in der Schweiz, die zeigen wie man mit Geld eben nicht umgeht. In der Werbebranche ist das übrigens ein Riesenproblem, auch für Männer. Am Ende der Karriere stehen viele Kreative vor wenig, weil sie sich nicht rechtzeitig um ihre Vorsorge kümmern. Vor einigen Jahren habe ich für die UBS eine Vorsorgekampagne gemacht. Der Insight: «Älterwerden fängt früher an, als man meint.» Das hat recht gut funktioniert. Sensibilisieren als eine Form der Prävention.

CMM: Wenn Sie sensibilisieren und die Bevölkerung aufklären könnten, dann nehme ich Sie dafür gerne auf meine Shortlist. Denn das ist wahnsinnig schwierig! Eine interessante Studie befasste sich in England mit einer Kampagne zur Prävention von Fettleibigkeit. Zunächst schlugen alle Ansätze fehl. Es half nichts, über Fettleibigkeit zu reden oder plakativ Bewegung zu propagieren. Also malte man in den U-Bahnstationen die Treppenstufen schwarz-weiss an und unterlegte sie mit Tönen. Trat jemand auf eine Stufe, erzeugte er oder sie einen Ton, sodass das Erklimmen der Treppe praktisch ein Musikstück ergab. Bald liessen viele die Rolltreppe links liegen und gingen zu Fuss hoch. Solche sogenannten Nudges, also Anstösse für eine Verhaltensänderung, müssten wir für unsere Thematik finden.

TW: Es wäre doch schön, Werte neben dem Gehalt zu generieren – mit der Arbeit dazu beiuztragen, die Welt zu verbessern, das Umfeld positiver zu gestalten –, für die sich Frauen noch lieber einsetzen als nur für Geld.

CMM: Da stimme ich Ihnen zu. Eigenverantwortung ist Pflicht und Kür. Letztere darf nicht zu kurz kommen. Apropos Welt verbessern: Wir haben durch die direkte Volksdemokratie das Privileg, von der Mikroebene auf die Makroebene einwirken zu können. Wir können abstimmen gehen, ein politisches Mandat ergreifen, jederzeit mitbestimmen.

TW: Wie schafft eine Frau die Familiengründung, und gleichzeitig den Ehrgeiz zu entwickeln, dort nicht den Anschluss zu verlieren, wo sie ausgestiegen ist? Der Gender-Pay-Gap ist ja auch ein Resultat davon, dass die Führungsposition in weite Ferne rückt durch den Knick im CV.

CMM: Was wäre Ihre Antwort darauf?

TW: Ich sehe die Schwierigkeit. Als CEO einer grossen Werbeagentur habe ich n atürlich Personal eingestellt. Und ich habe mich schwergetan damit, eine Frau, die weniger Erfahrung mitgebracht hat, weil sie zu lange pausiert hat, auf eine Position zu heben, statt den ebenfalls infrage kommenden Mann. Trotzdem habe ich stets völlig gleichwertig entschieden. Und ich habe gehofft, dass die Person Karriere macht. Dass ich sie fördern und befördern kann.

CMM: Was musste eine Frau für eine Karriere in Ihrer Agentur mitbringen?

TW: Nur eins: gute Ideen. Die kann eine sehr erfahrene Person glücklicherweise auch sehr schnell entwickeln, in zehn Minuten, einer Stunde oder einem Tag. Wenn jemand das vorweisen kann, setze ich auf sie oder ihn als Mitarbeitende.

CMM: Welche gute Idee müsste die Frau haben, damit sie Beruf und Familie abdecken kann?

TW: Wenn ich weiss, dass die Ideen innerhalb der Deadline kommen, dann hat sie daneben jeglichen Freiraum von mir.

CMM: Dann scheint der springende Punkt, dass ganz viele Frauen scheinbar keine guten Ideen haben?

TW: Das ist leider so. Sagt die Statistik.

CMM: Wirklich? Was sind die Kriterien dafür, wer hat sie formuliert und wer beurteilt die Idee? Wenn die gute Idee männlich ist, dann bin ich in diesem Aspekt männlich, weil ich oft wahnsinnig gute Ideen habe (lacht). Nur hört mir niemand zu. Das sagt eine andere Statistik und meine persönliche Erfahrung: Sitzt eine Frau allein unter Männern, wird sie nicht gehört. Daran sind übrigens nicht die Protagonisten schuld. Es ist der Situation geschuldet, weil die Frau im Raum mit Männern immer «die andere, die fremde Person» bleibt. Dagegen kann sie nichts machen, weder mittels ihrer Kleidung, einer tieferen Stimmlage oder Ähnlichem. Darum sollten Frauen nicht allein in Gremien bleiben.

«Sitzt eine Frau allein unter Männern, wird sie nicht gehört»: Philanthropin Carolina Müller-Möhl
«Sitzt eine Frau allein unter Männern, wird sie nicht gehört»: Philanthropin Carolina Müller-Möhl
Per Kasch

TW: Ich habe die Lösung. Es liegt doch einzig und allein am Chef der Gruppe, dem Verwaltungsratspräsidenten, dem CEO, der Geschäftsleitung. Ich habe nie mehr oder weniger zugehört abhängig vom Geschlecht der Person. Einer guten Idee ist es egal, von wem sie kommt.

CMM: Das wäre das Best-Case- Szenario. Ein Chef sollte eine Frau zuerst hören, das Gesagte richtig protokollieren und sie dann positiv bestätigen.

TW: Für mich ist gleichberechtigtes Denken und Handeln selbstverständlich. Es gibt doch nichts Besseres, als aus vielen Inputs unter vielen Leuten auszuwählen. Da muss ich nur noch die besten finden.

CMM: Die einzige Frau in einer Gruppe nimmt man leider zuerst als Frau wahr, nicht zuerst wegen ihres Fachwissens oder ihrer Idee. Unbewusst. Das geht auch Ihnen so. Das bestätigt die Forschung.

TW: Hier liegt aber auch die Chance. Ich mache es mir bewusst, denn ich orientiere mich gern an Ausnahmen. Die sollte man mobilisieren und zu Wort kommen lassen, damit sich etwas verändert. Sonst bleibt ja alles beim Alten.

CMM: Das ist schön, wenn Sie sich das vornehmen! Schneller ginge es aber, indem wir das Design verändern würden. Werde ich für eine Position angefragt, sage ich unter der Bedingung zu, dass in den nächsten zwölf oder 24 Monaten drei andere Frauen nominiert werden.

TW: Im Fussball geht das doch auch: Kommt ein neuer Trainer, bringt er einen Pulk an Assistenten mit. Wie ist die Relation im Verwaltungsrat von Fielmann, wo Sie Einsitz nehmen? Und warum heisst der Brand noch immer nicht Fielfrau. Das wäre doch ein Signal.

CMM: Eine super Idee. Ich werde es gerne einmal Herrn Fielmann vorschlagen. Immerhin, im Aufsichtsrat sind wir bereits sechs Frauen zusammen mit zehn Männern.

TW: Führen Frauen anders?

CMM: Nein, sagt eine neue wissenschaftliche Studie. Aber wir Menschen unterscheiden uns und erliegen in der Beurteilung leider alle unseren unbewussten Urteilen. Das heisst, Frauen werden anders eingeschätzt als Männer. Ein Mann, der ehrgeizig seine Karriere plant, gilt als cool, eine ehrgeizige Frau jedoch als unsympathisch. Am besten wäre es daher, Bewerber und Bewerberinnen mittels eines blinden Lebenslaufes zu beurteilen, der unter anderem das Geschlecht nicht erkennen lässt. Das machen einige Unternehmen schon heute so.

TW: Ich würde niemanden einstellen, den ich nicht persönlich getroffen habe. Ich glaube mit an das Erscheinungsbild, das Auftreten, die Haltung, die Ausstrahlung. Das Sozioökonomische Panel (SOEP), ein renommiertes Research-Tool, lässt den Schluss zu, das Thema Gleichstellung habe die Gleichberechtigung abgelöst. Frauen können rechtlich machen, was sie wollen. Aber: Sie wollen gewisse Ämter oder Führungspositionen gar nicht. Das führt zu einem Gleichstellungszwang. Und wir Männer dürfen nicht dagegen sein. Diese Opferrolle/Täterrolle ist nach meinem Empfinden sehr eindimensional.

CMM: Interessant. Es wäre wünschenswert, dass alle Menschen nach ihrer Ausstrahlung und Haltung beurteilt werden und nicht nach Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen. Aber wir tun es nicht, selbst wenn wir es wollten. Deswegen gibt es keine Täter. Einen Gleichstellungszwang empfinde ich aus meiner Warte nicht. Zahlreiche meiner Kolleginnen würden sehr gern eine Topstelle besetzen. Hätten Sie einen kreativen Vorschlag, wie wir die gelebte Gleichstellung erreichen können?

TW: Ja, die Gender Compensation. Wir führen dieses Instrument gerade beim ADC ein. Teams, die nicht mindestens zu fünfzig Prozent aus Frauen bestehen, bezahlen einen gewissen Kompensationsbeitrag. Der soll natürlich zu Veränderung anregen. Ich möchte als Mann aber nicht das letzte Wort haben. Liegt Ihnen noch etwas am Herzen?

CMM: Danke Ihnen für das spannende Gespräch, lassen Sie es uns fortsetzen. Sie haben statistisch gesehen als Mann die besseren Ideen. Ich lade sie ein zu einem kreativen Brainstorming darüber, wie wir das mit der gelebten Gleichstellung hinkriegen.

TW: …

"Wirklich? Wer hat die Idee formuliert und wer beurteilt sie?" Carolina Müller-Möhl

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