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"Feminismus ist Mainstream"

Seit 1914 setzt sich die Frauenzentrale Zürich für die Rechte der Frauen ein. Wie viel tragen die Kampagnen zum Erfolg ihres Wirkens bei? Unser Autor, einst Texter bei Publicis, war an einigen beteiligt. Er befragt Marketingleiterin Alexandra Müller.

Jan Kempter

2024

In der Kampagne «A Message from Sweden» (2018) erklären Schwed:innen, warum sie es nicht mögen, mit der Schweiz verwechselt zu werden: «Ihr lebt im Mittelalter» – im Bezug auf Frauenrechte
In der Kampagne «A Message from Sweden» (2018) erklären Schwed:innen, warum sie es nicht mögen, mit der Schweiz verwechselt zu werden: «Ihr lebt im Mittelalter» – im Bezug auf Frauenrechte
Frauenzentrale Zürich

ADC: Kann Werbung Gewalt an Frauen beenden oder für mehr Lohngerechtigkeit sorgen?
Alexandra Müller: Natürlich! Wie die meisten Marketingverantwortlichen bin ich überzeugt, dass wir mit unserer Werbung die Welt ein Stück verbessern. Wir sehen es als Aufgabe der Frauenzentrale Zürich an, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen und dafür zu sorgen, dass auch unangenehme Themen – wie Gewalt gegen Frauen – nicht ignoriert, sondern in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden.

Seit ungefähr 15 Jahren fällt die Frauenzentrale Zürich mit ihren Werbekampagnen auf. Was hat sich in dieser Zeit an der Situation der Frauen in der Schweiz verändert?
Viel! Gerade durch die #MeToo-Bewegung haben die Frauen echtes Empowerment erfahren. Es ist unser System, das Frauen strukturell benachteiligt, und jetzt sehen wir die Probleme klar und deutlich. Wir sprechen sie an, sind laut und kämpferisch. Feminismus ist zum Mainstream geworden und Frauen werden stärker und selbstbestimmter. Aber auch Männer haben erkannt, wie wichtig Gleichstellung für uns als Gesellschaft ist und ziehen mit. Mit einem zeitgemässen Sexualstrafrecht, einer verbesserten BVG-Reform und der Individualbesteuerung, um nur einige Baustellen zu nennen, ist nun die Politik gefordert.

Wie schätzen Sie den Einfluss Ihrer Kampagnen darauf ein?
Sie haben dafür gesorgt, dass das Thema Gleichstellung zumindest im Kanton Zürich regelmässig diskutiert wird. Auch wenn die Werbung nicht allen gefällt, hat sie bei unserem Zielpublikum die richtige Botschaft vermittelt.

Können Sie uns verraten, welche Kampagnen am meisten bewirkt haben?
Wir messen unsere Kampagnen unterschiedlich und nicht jede Massnahme hat das gleiche Ziel. Die grösste Wirkung in Bezug auf Medienpräsenz und Aufmerksamkeit hatte bisher das Video zum Thema Gewalt gegen Frauen mit dem Titel «A Message from Sweden » aus dem Jahr 2018. 

Die Tonalität der Kampagnen unterscheidet sich teilweise stark. Was funktioniert am besten? Tränendrüse? Humor? Schock? Provokation?
Das hängt natürlich immer vom Thema ab. Aber wir haben festgestellt, dass provokante Inhalte die meisten Interaktionen erzeugen. Wenn wir den Finger in die Wunde legen, halten die Leute kurz inne.

Muss Werbung für die Anliegen der Frauen denn überhaupt kreativ sein? Reicht es nicht, wenn sie informiert?
Nein, auf keinen Fall. Der Markt ist so übersättigt mit Produkten und Dienstleistungen. Wir konkurrieren ja mit der ganzen Welt. Jede Sekunde Aufmerksamkeit ist hart umkämpft. Wer als Marke nicht auffällt, ist chancenlos.

Glauben Sie, weibliche Kreative setzen die Anliegen der Frauen besser um oder spielt hier das Geschlecht keine Rolle?
Das spielt keine Rolle.

Erhalten Sie mehr Reaktionen von Frauen oder Männern auf eine Marketingmassnahme?
Das hält sich die Waage. Ausser bei Kampagnen gegen Gewalt an Frauen und Prostitution, da sind es über neunzig Prozent Männer, die sich melden.

Ist Ihnen eine Reaktion besonders in Erinnerung geblieben?
Nach einer Kampagne zum Thema Prostitution hat ein Mann meine Kollegin aufs Übelste am Telefon beschimpft und gedroht, auf die Geschäftsstelle zu kommen. Solche Äusserungen sind sehr schlimm und zeigen, wie viel Gewaltpotenzial und Wut da ist, aber auch, wie wichtig unsere Arbeit ist.

Achten Sie bei Ihrer Kommunikation darauf, niemanden vor den Kopf zu stossen? Oder provozieren Sie gewisse Leute im Gegenteil bewusst?
Wir wollen bei der Zielgruppe im Gedächtnis bleiben. Das muss nicht unbedingt durch Provokation sein, eine kleine Überraschung oder ein verpackter Witz genügen. Wir wollen niemanden unnötig reizen, aber unsere Fakten sind auch nicht aus der Luft gegriffen.

Aktuell scheint Ihnen das Sexualstrafrecht und die Einführung des Nordischen Modells besonders wichtig zu sein: Wie definieren Sie, welche Themen wann bespielt werden sollen?
Die Themenfelder werden vom Vorstand für jeweils fünf Jahre festgelegt. Die Geschäftsstelle kann dann die Ressourcenund inhaltliche Planung selbst ständig vornehmen und entscheidet auch über die Durchführung von Kampagnen. Da die Frauenzentrale Zürich sehr viele Themenfelder bearbeitet, müssen Prioritäten gesetzt werden.

Welche Themen werden die nächsten Jahre dominieren?
Auch in den kommenden Jahren werden wir uns für mehr Frauen in politischen Ämtern, für die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt einsetzen.

Hat sich das Frauenbild in der Werbung generell gebessert?
Es gibt sie immer noch: sexistische Inhalte und Alltagssexismus, der Frauen auf stereotype Rollen reduziert. Was sich leicht verbessert hat, ist die Benennung unangemessener Werbung, und auch Marken haben begonnen, mehr Vielfalt zu repräsentieren.

Welches Geschlechterklischee in der Werbung ärgert Sie besonders?
Gerade bei Kinderartikeln ist die HellblauRosaFalle immer noch sehr präsent. Kinder in diesem Alter mit solchen Rollenklischees zu prägen, trägt zu einem patriarchalischen System bei. Gegenderte Sprache sorgt aktuell für hitzige Diskussionen.

Muss ein Unternehmen Ihrer Meinung nach heutzutage gendern?
Man kann kein Unternehmen zum Gendern zwingen. Die Frauenzentrale Zürich achtet darauf, zielgruppengerecht zu kommunizieren. Eine inklusive Sprache ist uns wichtig.

Kampagne der Frauenzentrale zum Equal Pay Day 2015
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