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Für Bossinnen

Als Coach unterstützt Heidi Hauer Frauen in und auf dem Weg in Führungspositionen – mit viel Herz, einem reichen Erfahrungsschatz und fundiertem Wissen. Ein Gespräch über Self Branding, Perfektionsstreben und die Frage, ob Eigenlob wirklich stinkt.

Sherin Kneifl

2023

Heidi Hauer (42) ist studierte Marketing- und PR-Expertin und Absolventin der Diplomatischen Akademie
Heidi Hauer (42) ist studierte Marketing- und PR-Expertin und Absolventin der Diplomatischen Akademie
Wendy Yalom

ADC: Heidi Hauer, was ist der grösste Unterschied beim Coaching von Frauen und Männern?
Heidi Hauer: Grundsätzlich eint uns viel mehr als uns trennt. Wir alle haben Ziele, Träume, Sorgen und Ängste. Die thematischen Schwerpunkte beim Coaching von Frauen im beruflichen Kontext liegen häufig beim Aufbau des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, bei klarer Kommunikation der eigenen Ambitionen und authentischem Self Marketing. Frauen stellen sich zum Beispiel oft hinter das Team, das sie leiten. Ich ermutige sie dazu, sich gelegentlich deutlich für die gute Leistung zu zeigen und sich den Applaus, sprich die Credits, dafür einzuholen. Selbstfürsorge, Grenzen setzen und Klarheit über die Erwartungen an die berufliche Rolle begegnen mir als «weibliche» Themen häufig. Zweifel am Selbstbewusstsein plagen Männer weniger. Bei ihnen geht es im Laufe der Karriere eher um die Sinnfrage sowie um das Schaffen einer Legacy.

Ist gendersensibles Coaching ein valider Beitrag zur Frauenförderung?
Aus meiner Sicht ist eine Mindestanforderung im Coaching, gendersensibel zu kommunizieren, denn nur so werden Lebensrealitäten realistisch re präsentiert. Sprache schafft Bewusstsein, Worte schaffen Realität – das per se bezeichne ich noch nicht als Frauenförderung. Manchmal ist es auch für den Coachee hilfreich, sich der unterschiedlichen Sprache, die Männer und Frauen sprechen, bewusst zu werden und sich diese im Kontext anzueignen. Frauen setzen Mimik stärker ein, nicken bejahend, hören sehr wohlwollend zu und so weiter. Wenn ich in einer Konferenz mit Männern gehört und verstanden werden will, sollte ich als Frau diesen empfundenen Mangel an nonverbaler Unterstützung nicht automatisch als Ablehnung interpretieren. Darüber hinaus hilft es, die Körpersprache des Gegenübers zu entschlüsseln und mich ähnlicher Muster zu bedienen. Das ist mitnichten ein Verstellen, sondern ein Anpassen an die Situation, als ob ich in einem Raum mit Expats auf Englisch kommunizieren würde.

Untersuchungen zeigen, dass Frauen ihre Fähigkeiten eher anzweifeln und herunterspielen, während Männer ihre überschätzen. Sollten wir uns da mehr von den Kollegen abschauen?
Ich unterstütze Frauen dabei, einen selbstbewussteren Blick zu entwickeln. Es ist allerdings wenig zielführend, eine Überschätzung der eigenen Möglichkeiten zu intendieren.

Laut neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Gehirnregion, die fürs Grübeln und für die Sorgen verantwortlich ist, bei Frauen grösser und aktiver. Das kann bedeuten, dass daraus besser durchdachte Massnahmen resultieren, aber auch, dass mehr Zeit damit verbracht wird, über Fehltritte oder wahrgenommene Kritik nachzudenken.
Im Gehirn ist das Default Mode Network (DMN) am stärksten am Grübeln beteiligt. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk miteinander verbundener Regionen, die aktiver werden, wenn wir über die Vergangenheit oder die Zukunft nachdenken, unsere Gefühle oder Verhaltensweisen analysieren. Bei Menschen, die übermässig grübeln, verändern sich die funktionellen Verbindungen, das heisst, wie schnell und fliessend verschiedene Regionen kommunizieren. Die Grösse der Hirnareale ist hierfür irrelevant. Die Funktionsweise ist ausschlaggebend.

Das Streben nach Perfektion wird oft mit einer Stärke verwechselt, die jedoch Versagensängste mit sich bringt. Wie gewinnt man mehr Lockerheit?
Häufig löst bereits Reflexion einen Perspektivenwechsel aus. Es ist dem System des Perfektionismus innewohnend, dass es nie erfüllt sein kann, weil es keine hundertprozentige Vollkommenheit gibt. Perfektionistinnen führe ich gern das 80/20-Pareto- Prinzip vor Augen: Mit zwanzig Prozent Aufwand erreicht man achtzig Prozent des Ergebnisses, die restlichen achtzig Prozent Aufwand tragen wenig bei zum Ergebnis und sind hochgradig ineffizient. Diese Einsichten helfen dabei, sich mehr Freiheiten zu erlauben. Entscheidend ist ausserdem, zu erkennen, wann welche Fähigkeiten angezeigt sind. Wird eine Stärke zu intensiv gelebt, wird sie häufig zu einer Schwäche. Die Liebe zum Detail beispielsweise kann bei bestimmten Projekten einen Wettbewerbsvorteil bedeuten. In jeder Situation angewandt verstellt sie schnell den Blick aufs Wesentliche. Das Ziel lautet, sich eine multidimensionale Toolbox an Fertigkeiten anzueignen, um in den unterschiedlichsten Situationen angebracht handeln zu können.

Ganz viel Liebe: Hauer geht individuell auf die Anliegen ihrer Coachees ein
Ganz viel Liebe: Hauer geht individuell auf die Anliegen ihrer Coachees ein
Wendy Yalom

Ein häufig genannter Aspekt für den Gender-Pay-Gap ist schlicht das schlechtere Verhandlungsgeschick. Ihr Tipp, damit Gehaltsgespräche erfolgreich ausgehen?
1: Sich seiner eigenen Stärken und erreichten Ziele bewusst sein. 2: Das Gehaltsgespräch gut vorbereiten, indem eigene Leistungen und die eigene Erfolgsgeschichte argumentativ schlüssig aufbereitet sind und dann selbstbewusst kommuniziert werden. 3: Eine klare Vorstellung von dem gewünschten Betrag haben. 4: Das erste Angebot nicht akzeptieren, sondern nachverhandeln. Bei Gehaltserhöhungen: Die Forderung immer in den Kontext des Geleisteten und des Mehrwerts stellen.

Eine Werberin, die sich von Berufs wegen eigentlich toll selbst vermarkten könnte, macht das häufig nicht. Wie gelingen Self Branding und die optimale persönliche Kommunikationsstrategie?
Kenntnisse über Branding machen jemanden nicht automatisch zu einem Self-Branding-Profi. Im Coaching können wir hinderliche Glaubenssätze erkennen und diese entmachten. Ist Leistung mehr wert, wenn sie von anderen erkannt und gelobt wird, als wenn man selbst darauf hinweist? Stinkt Eigenlob wirklich? Ist eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung nur dann etwas wert, wenn man sich selbst nicht dafür eingesetzt hat? Was sind die informellen Spielregeln in Bezug auf Karriere in der Agentur?

Wenn Ideen zum Jobprofil gehören, bedingt das wegen des Verwerfens von Ideen auch tägliches Scheitern. Wie bewältigt man das?
Wenn wir Arbeit assoziieren mit spielerischem Ehrgeiz und Freude am Gestalten, fällt vieles leichter. Ist der Output allerdings direkt mit dem Selbstwert verknüpft, ist eine emotionale Berg- und Talfahrt vorprogrammiert. Eine gesunde Distanz zum eigenen Schaffen ermöglicht es zudem, entscheidend früher Warnzeichen der Überforderung zu erkennen.

Wer neue Ideen generiert, hat es in der Hand, tatsächlich einen Unterschied in der Welt zu machen. Was, wenn dieser Anspruch zur Last wird?
Die grosse Frage nach dem Purpose kann in der Tat zur Belastung werden. Ein guter Startpunkt für die Beschäftigung mit diesem Thema ist das Ikigai-Modell. Meine Empfehlung lautet, sich nicht zu sehr auf konkrete Beiträge zu einer besseren Welt zu fixieren, sondern sich auch zu überlegen, wie man leben, arbeiten und mit anderen interagieren möchte. Häufig sind weder der Weg noch das Ziel entscheidend für unser Glück, sondern unsere Weggefährt:innen und wie wir mit ihnen umgehen.

Ist es relevant, dass Sie als Frau Frauen coachen?
Meine Coachees schätzen es, dass ich Karriere gemacht habe, die Herausforderungen des Hamsterrads kenne und erlebt habe, wie verführerisch Erfolg sein kann. Ich bringe daher ein Grundverständnis für viele berufliche Situationen mit, möchte aber betonen, dass ich jedes Anliegen sehr individuell betrachte. Mein Hauptziel ist es nicht, meine Erfahrung weiterzugeben, sondern als Sparringpartnerin jeder zu ihrer eigenen Wahrheit zu verhelfen.

"Mein Hauptziel ist es, als Sparringpartnerin jeder zu ihrer eigenen Wahrheit zu verhelfen"

In der Werbe- und Kommunikationsbranche arbeiten idealerweise Menschen, die «out of the box» denken. Brauchen Sie für diese Berufsgruppe eine ungewöhnlichere Herangehensweise?
Grundsätzlich sind Coaching-Tools unabhängig von Branche und Berufsgruppe universell anwendbar. Wenn ich jedoch mit kreativen, feingeistigen Menschen arbeite, nutze ich vermehrt Instrumente, bei denen Ressourcen wie Kreativität, eine schnelle Auffassungsgabe, Intuition besonders gefragt sind.

Apropos intuitiv: Ist für die Top-Karriere ein Plan nötig, um fokussiert nach oben zu steuern?
Eine Top-Karriere ist nicht nur das Ergebnis ausgezeichneter Arbeit. Natürlich ist Leistung zentral, aber genauso darf man Netzwerken, Selbstpositionierung und klare Zielvorstellungen nicht dem Zufall überlassen.

Was sind die wichtigsten Fragen, die ich mir im Hinblick auf Selbstcoaching stellen sollte?
Was tut mir tatsächlich gut? Was mache ich gerne und gut? Was ist mein Herzenswunsch? In welchem Setting kann ich langfristig und erfüllend meine Fähigkeiten leben und wie kann ich diese Voraussetzungen in meinem Umfeld mitgestalten?

Wie gelingt es, Grenzen zu setzen, obwohl man seine kreative Arbeit voller Leidenschaft macht?
Man darf sich bewusst machen, dass es neben dem Run auf Creative Awards eine wirtschaftliche Dimension in Agenturen gibt. Time-Management- Tools und Produktivitäts-Hacks sollten daher selbstverständlich in den Arbeitsalltag integriert sein. Manchmal hilft es, die Vogelperspektive einzunehmen. «At the end of the day, it’s a job and rarely it’s about saving lives.»

Haben auch Sie übergeordnete Ziele, um mit Ihrem Tun einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten?
Mein Beitrag zur Gesellschaft vergrössert sich, sobald meine Coachees durch reflektiertes Verhalten ihr Umfeld positiv beeinflussen und inspirieren. In Bezug auf das höhere Ziel von Gender Equality ist es wichtig, mit systematischen Benachteiligungen und frauenfeindlichen Zuschreibungen sehr bewusst und sensibel umzugehen und Klischees nicht zu dulden. Um strukturelle Umstände zu ändern, gibt es ausgezeichnete Vorreiterinnen und Vereine. Gesellschaftspolitische Veränderungen gelingen nur dann, wenn auf allen Ebenen gleichzeitig Neues ermöglicht wird.

Der Übergang von der Macherin zur Leaderin ist eine Herausforderung. Wie stossen Sie diese Transformation an?
In erster Linie geht es darum, die Anforderungen der neuen Rolle zu verstehen. Oft wird angenommen, dass nach einer Beförderung einfach «more of the same» verlangt wird. Das ist jedoch selten der Fall. Um eine höhere Position erfolgreich zu erfüllen, braucht es andere Prioritäten, neue Verhaltensweisen und eine ganzheitlichere Sichtweise. Persönlichkeitsentwicklung ist ein Prozess, der ständig läuft, wenn man es zulässt und sich dafür sensibilisiert. Und das Argument, dafür fehle die Zeit, sei sofort ausgehebelt: Wenn einem etwas wirklich wichtig ist, macht man es zu einer Priorität und schafft Freiraum dafür.

Nur für Sie.