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«In der Schweiz haben wir sehr traditionelle Rollenbilder»

Status quo: Wie wird DEI in der Werbebranche umgesetzt?

Gudrun Sander

2023

Status quo: Wie wird DEI in der Werbebranche umgesetzt?
Aus unserer Sicht und gestützt auf globale Daten müssten Agenturen DEI als strategisches Thema verankert haben, da sich seitens der Kundschaft ein klares Bedürfnis abzeichnet, die Vielfalt unserer Gesellschaften in der Werbung wiederzugeben. Je vielfältiger die Teams in den Agenturen, desto vielfältiger wird der Output. Insbesondere die jüngere Generation (18 bis 25 Jahre) zeigt eine hohe Awareness für DEI in der Werbung im Zusammenhang mit ihren Kaufentscheidungen.

Was ist nötig, damit sich in puncto DEI tatsächlich etwas bewegt?
Das Commitment und aktive Engagement der obersten Führung beziehungsweise Geschäftsleitung, klare und messbare Ziele und Ressourcen für die Führungskräfte sowie eine langfristige Kulturveränderung, die einerseits die unbewussten Vorurteile reflektiert und anderseits die Prozesse und Strukturen so verändert, dass eine Kultur gelebt wird, die Vielfalt wertschätzt, also «inclusive» ist. Und darüber hinaus eine umfassende DEI-Strategie mit Massnahmen, die möglichst vielen Mitarbeitenden nutzen. Es macht mehr Sinn, Kulturen und Systeme so zu verändern, dass sich mehr (potenzielle) Mitarbeitende zugehörig und wertgeschätzt fühlen, also «Sonderlösungen» für Frauen und Minoritäten-Gruppen in einem für sie unpassenden System zu suchen (Stichwort «Menstruationsfreitage»).

Was bringt es den Agenturen, sich des Themas anzunehmen?
Spontan fallen uns drei gute Gründe ein: 1. Heterogene Teams sind innovativer, das zeigt die Forschung recht eindeutig. Die ewig gleichen stereotypen Werbungen verfehlen zunehmend ihre Wirkung. 2. Dazu kommt eine gesellschaftliche Verantwortung der Branche. Medien haben einen Multiplikatoreffekt, sie können helfen, Bilder in unseren Köpfen zu verändern, die bereits vorhandene gesellschaftliche Vielfalt besser abbilden und so letztlich auch ihren Auftraggebenden helfen, mehr Kundinnen und Kunden anzusprechen. Das führt mich zu 3.: Um die Glaubwürdigkeit gegenüber Auftraggebenden zu stärken und die besten Talente zu gewinnen und zu halten, ist auch in den Agenturen eine gewisse Vielfalt der Mitarbeitenden und Führungskräfte nötig. Es braucht unterschiedlichste Rolemodels, die als Identifikationsfiguren für alle Talente und nicht nur sehr selektiv für die eine oder andere Gruppe von Menschen stehen.

Welche positiven Beispiele im Hinblick auf DEI gibt es in der Branche?
Wir können aufgrund unserer Erfahrung mit einzelnen Agenturen feststellen, dass das Thema adressiert ist. Auf Verbandsebene engagiert sich Swiss Leading Agencies und kümmert sich darum, die Agenturen beim Management von DEI zu unterstützen. Ausgehend von einer Bedürfnisanalyse bei den Agenturen werden entsprechende Angebote bereitgestellt (beispielsweise Workshops für chancengerechtere HR-Prozesse).

Sehen Sie Schweizer DEI-Eigenheiten?
Die Schweiz ist mit einigen Besonderheiten im Hinblick auf DEI konfrontiert. So haben wir – teils historisch bedingt, teils wohlstandsbedingt – sehr traditionelle Rollenbilder. Frauen werden mehrheitlich als Hauptverantwortliche für Kinder und Haushalt und damit lediglich als «Zuverdienerinnen» betrachtet, Männer nach wie vor als Familienernährer. Das spiegelt sich in einer sehr hohen Teilzeitarbeitsquote der Frauen wider, die wiederum ihr Vorankommen in der beruflichen Entwicklung negativ beeinflusst. Das duale Bildungssystem, das viele Vorteile hat, führt, durch die sehr frühe Entscheidung, zu einer Verstärkung der geschlechtertypischen Berufswahl und verändert damit den Arbeitsmarkt nur langsam. Viele junge Männer wählen noch immer MINT-Berufe, während Frauen vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich engagiert sind. Es ist kein Zufall, dass wir gerade in diesen hoch geschlechtersegregierten Berufsfeldern den höchsten Fachund Führungskräftemangel haben. Dagegen hat die Schweiz mit der hohen Quote von Ausländerinnen und Ausländern viel Erfahrung, wie ein Zusammenleben und -arbeiten in multikulturellen Kontexten gelingt. Wir haben im Vergleich zum umliegenden Ausland sicher eine höhere Diversität bezüglich Kulturen, Religionen und Nationen. Schliesslich ist die direkte Demokratie hervorzuheben, in der Veränderungen oft sehr lange dauern, die, wenn sie dann durchkommen, aber nachhaltiger sind, weil breit abgestützt.

Gudrun Sander ist Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Diversity Managements an der Universität St. Gallen und Direktorin der Forschungsstelle für Internationales Management. www.ccdi-unisg.ch

Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion
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Eigene Umfrage unter Leading Swiss Agencies (LSA)

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