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Kreativ sein kann jeder. Wirklich?

Was heisst das überhaupt: Kreativ sein? Und wie wird man nicht nur kreativ, sondern kreativ exzellent? Ein paar einfache Thesen.

Dennis Lück

2021

Meist der Anfang einer grossen Idee: Ein Blatt Papier und ein Stift.
Meist der Anfang einer grossen Idee: Ein Blatt Papier und ein Stift.
Unsplash: Umberto

Kreativ sein. Jeder kann das. Natürlich. Es kann ja auch jeder Klavier spielen. Oder Volleyball. Jeder kann kochen. Jeder kann singen. Jeder kann moderieren. Ob man das dann gut macht, spielt erst einmal keine Rolle. Damit ist die immer wiederkehrende Frage endgültig beantwortet: Natürlich kann jeder kreativ sein. Aber wenn wir sagen, jemand sei kreativ, dann meinen wir ja eigentlich kreativ exzellent.

Wir müssen also zuerst einmal definieren, was kreativ sein eigentlich bedeutet. Und wenn man nach den Definitionen schaut, dann stellt man erschrocken fest: Wieso sind alle so unkreativ, wenn sie «kreativ» definieren sollen? Alle scheitern am Definieren des Wortes «Kreativität». Platon, Sokrates und wie sie alle heissen – jeder schreibt darüber und meint etwas anderes. Vom banalen «Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen» bis hin zu Definitionen, die der Wirkung eines 10er-Valiums nahekommen. Kann man mal bitte kreativ sein beim Definieren von «kreativ sein»?

Ich wage einmal einen Versuch: Es gibt nämlich nicht eine Definition, sondern drei Definitionsformen. Ich definiere Kreativität in Stufen oder, in Gamer-Sprache: in Leveln.

Kreativ sein, Level 1. Das ist die banale Variante, eine, die gültig ist für alle. Sie besagt, dass jeder kreativ sein kann. Denn Level 1 bedeutet: Kreativ sein ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen. Punkt. Wer eine Brezel erschafft, ist kreativ. Es geht nur ums Erschaffen, nicht darum, was es ist und wie gut es ist. Kommen wir zum nächsten Level.

Für Level 2 lautet die Definition: Kreativ sein heisst, etwas Neues zu erschaffen. Aha. Das Wort «neu» ist nun hinzugekommen. Das ist schon schwieriger in seiner Umsetzung. Und ab Level 2 braucht es Training, Tipps, Techniken, Ausdauer. Meine These: All das kann man erlernen. Bis auf Level 2 kriegt man jeden. Entzaubern wir die Kreativität. Nehmen wir ihr die Magie weg. Und vergleichen wir es mit Klavier lernen oder Fussball spielen – jeder kann das bis zum Niveau «sehr gut» erlernen. Und genauso verhält es sich mit Kreativität. Wer die Techniken immer wieder übt und trainiert, kommt auf ein sehr gutes Niveau. Kreativität, bis zu

Level 2, ist erlernbar. Gute bis sehr gute Kreative kann man züchten. In der Schule, im Job, in Workshops, an der Uni. Das ist Technik, keine Zauberei. Kommen wir zum höchsten Level.

Level 3: Kreativität heisst, etwas Neues zu erschaffen, das die Welt nachhaltig verändert. Kreativität, die bleibt. Die nachhallt. Die bewundert wird. Hier tummeln sich die Genies aus allen Bereichen. Musiker, Künstlerinnen, Architektinnen, Erfinder, Anwältinnen, Physikerinnen, Biochemiker, Maurer, Choreografinnen, Bäcker, Friseure. Ganz gleich, in welchem Tätigkeitsfeld wir uns befinden, die Genies zeichnen sich immer durch ihre Fähigkeit, etwas Bleibendes zu schaffen, aus. Und dann sagen wir: Der oder die ist krass kreativ.

Was ist aber nun der Unterschied zwischen Level 2, den züchtbaren Kreativsoldaten, und Level 3? Wie komme ich auf die Stufe? Einfach mehr und härter trainieren? Leider nein. Denn der Unterschied zwischen Level 2 und Level 3 ist die intrinsische Motivation. Der Wille, die Leidenschaft, die Liebe zur Tätigkeit. Also nichts, was man erlernen kann. Dieses Feuer erzeugt die Genies. Leider gibt es von denen wenige. Nehmen wir die Kreativbranche. Wie viele Genie- streiche werden jedes Jahr von der gesamten Branche in der Schweiz erschaffen? Es sind pro Jahr, mit ziemlicher Konstanz und einer klaren Messbarkeit, immer etwa fünf Arbeiten. Fünf Geniestreiche pro Jahr. Aus einer Industrie, in der Abertausende arbeiten und deren Auftraggeber Hunderttausende zählen.

Level-3-Kreative sind also selten. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Gehören Sie, werte Leserschaft, zum Typ Level 3? Oder wie kommt man dahin? Grösser gedacht: Wie schafft man es als Gesellschaft, mehr gute Kreative und auch mehr kreative Genies hervorzubringen?

Die Lösung liegt in einem Wort: Kreativkultur. Man stelle sich vor, die Schweiz wäre das Land mit der besten Kreativkultur. Ihr Arbeitgeber hätte die beste Kreativkultur von allen. Die Grundschule Ihrer Kinder strotzte vor Kreativkultur. Mit diesem Begriff lenkt man alle und alles in die richtige Richtung.

Sind nicht überall, ganz gleich in welchem Beruf, diejenigen die Besten, die ihren Job kreativ erfüllen? Eben. Und bestätigt wurde dies nun auch von einer Studie des World Economic Forum. Kreativität wird die Fähigkeit der Zukunft. Wir sollten alle darauf setzen. Die Fähigkeit, die man unabhängig vom Berufsbild braucht. Zeugnisse werden nicht mehr sagen, wie gut Sie in Mathe sind, sondern wie hoch Ihr kreatives Potenzial ist. Zweifelsfrei: Wir brauchen überall mehr Kreativkultur.

Fangen wir nochmals bei der lästigen Definition an, bevor wieder alle ein anderes Bild davon haben, was eine Kreativkultur überhaupt bedeuten und leisten soll. Kreativkultur bedeutet, dass ein Umfeld und alle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Kreativität nicht nur ermöglichen, sondern sie fördern, fordern und verbessern. Bäh. Schon wieder schlafen einem die Füsse ein.

Ich formuliere es einmal mit eigenen Worten: Kreativkultur heisst: Freude am Erschaffen auslösen. Das ist es. Und diese Freude, die zieht dann alle anderen Aspekte, auch die der Leistungskultur, nach sich. Kreativität muss Spass machen. Ist es so banal?

Nicht unbedingt. Um Level-2-Typen zu erschaffen, muss die Tätigkeit keinen Spass bereiten. Die schafft man mit Fleiss, Disziplin und Übung. Aber da wollen wir ja nicht hin, da sind ja schon alle anderen. Wir wollen ja mehr Typ-3-Kreative erzeugen und grossziehen.

Auch hier ist es die intrinsische Motivation, die den Unterschied ausmacht. Und was löst intrinsische Motivation aus? Was speist Motivation? Richtig! Die eigene Freude am Tun. Wenn man selbst gepackt ist von dem, was man erschafft. Dann hat man die grenzenlose Energie, die es braucht, um Geniales zu vollbringen.

Und auch wenn die Antwort so banal ist, so schwierig wird es dann in der Umsetzung. Kurze Zwischenfrage: Wie viele Freude macht Ihnen Ihre kreative Arbeit gerade? Und da haben wir sie, die Knacknuss. Sofort wissen wir, warum es so schwierig ist, eine Kreativkultur zu erschaffen. Denn meist reden wir nicht von «meinen» Zielen, sondern von den Zielen der anderen.

"Wenn der Arbeitgeber vorgibt, dass mein Ziel sein muss, die beste Werbung aller Zeiten für eine Tomatensuppe zu entwickeln, dann ist das nicht mein Ziel. Und seien wir ehrlich, mir ist es auch völlig egal, ob die Marke XY noch drei Tüten mehr Trockenpulver mit neuer Rezeptur verkauft. Das ist der ganzen Welt egal."

Also, hier liegt der Hund begraben. Alle rennen irgendwo einem «purpose» hinterher. Aber was ist Ihr «purpose»? Was wollen Sie mit Ihrer Kreativität bewirken? Diese Frage ist doch entscheidend. Und genau dort liegt auch der Unter- schied, der Sie auf das höchste Level bringen kann. Was ist Ihr eigener kreativer Lebenszweck?

Wenn Sie länger als 0,0003 Sekunden überlegt haben, dann gibt es das offenbar nicht. Hier ein kleiner Tipp: Bevor Sie darauf warten, dass irgendjemand mit dem übergeordneten Ziel auf Sie zukommt, legen Sie eines für sich selbst fest. Ich habe einen «purpose», sorry für das Bull- shit-Bingo-Wort, für mich selbst definiert. Mein «purpose» heisst: «Die Welt braucht mehr positive Vibes.» Klingt fast ein bisschen peinlich, wenn man das zugibt. Aber finden Sie etwas Besseres für sich. Seit ich damit arbeite, weiss ich, wo der Hase hinhoppeln soll.

Kreativität braucht also immer ein übergeordnetes Ziel – Welt verändern –, welches das untergeordnete Ziel – zum Beispiel Trockenpulver-Tomatensuppe verkaufen – mitzieht. Das sind Ziele, die Level 3 treiben.

Das Kreieren dieses gesellschaftlich relevanten Ziels, da hapert es vielerorts. Nicht nur in der Kommunikationsbranche, sondern überall dort, wo wir von Kreativkultur reden wollen. Was ist das übergeordnete Ziel Ihres Arbeitgebers? Steht es im Einklang mit dem eigenen «purpose» oder kreativen Lebenszweck?

Begeistern, Welt retten, Freude auslösen, etwas bewegen. Da wollen wir doch alle hin. Wenn es da knirscht, dann holen Sie den Zettel raus, und schreiben Sie Ihre Kündigung. Wenn es aber da stimmt – Ihr Ziel und das Ziel Ihres Arbeitgebers in Einklang sind –, dann redet man von Kreativkultur.

Ziehen wir ein Zwischenfazit: Sie sind eine Level-3-Kreative, Ihr eigener «purpose» stimmt, der Ihres Arbeitgebers ist auch okay, und Sie haben sinnstiftende Jobs auf dem Tisch.

Wie kommen wir jetzt vom Level-3-Kreativen auf Level-3-Kreation? Bevor ich zur grausamen Erkenntnis komme, hier mein Vorgehen. Ob das stimmt oder nicht, sei dahingestellt. Jeder hat seinen eigenen Weg. Mein wichtigster Punkt ist: Ich fange nie beim Briefing an. Sondern bei der Emotion der Zielgruppe. Was will ich bei der Zielgruppe auslösen? Dass sie lacht? Dass sie was lernt? Dass sie sich provoziert fühlt? Ich komme immer erst von der Emotion.

Dann erst komme ich mit Techniken. Es gibt ein paar auserlesene Techniken, die immer funktionieren. Brich die Routine, masslos übertreiben, mach das Gegenteil, sag es mit einem grossen Bild, wie würde es Rambo lösen, wie würde es Daniel Düsentrieb lösen, wie kann man es mit einem neuen Produkt sagen – Sie kennen diese Strategien. Ich spule sie durch – alleine oder am liebsten natürlich im Team.

Und ganz wichtig: Ich sammle nie Ideen. Ich sammle immer Inputs. Das ist ein riesiger Unterschied! Ich verbreitere immer den Radius an Input mit allen Leuten, die am Projekt beteiligt sind. Jobprofile spielen keine Rolle. Die Masse an Inputs zählt. Masse an Ideen brauche ich nicht zwingend. Aus den Inputs entstehen dann vielleicht zwei oder drei Ansätze.

Und jetzt kommen wir zu meiner grausamen Theorie. Ich bin fest überzeugt: Es schwirrt ganz viel Level-3-Kreation umher, aber bleibt unentdeckt. Der Vorgesetzte, das Team, der Kunde – irgendwo bleibt sie immer hängen und taucht erst gar nicht auf. Es ist ein ganz sensibler Moment, die Geniestreiche überhaupt aufzuspüren. Ich finde, da ist unsere Problemzone. Ich für mich habe gemerkt: Ich muss ein Meister im Entdecken werden, gar nicht im Machen. Da sind andere ja eh besser. Und wenn ich es ent- deckt habe, dann muss man noch ein Meister im Verkaufen werden. Das ist das Geheimnis!

Level 3 entdecken und verkaufen lernen. Hier zwei Wege, wie das geht: Machen Sie Level 3 messbar. Es gibt für jede Aufgabe, für jeden Job, für jede Idee Kriterien, anhand deren man die Qualität messen kann. Würden Sie die Idee teilen wollen? Ist sie wirklich frisch? Ist sie perfekt auf die «journey» abgestimmt? Das übliche Zeug. Aber bringen Sie jede Frage auf eine Skala von 1 bis 10.

Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Machen Sie diese Messung, bevor die Idee zum Kunden geht. Sie wissen sofort, ob das eine 6,2-Idee oder eine 8,5 ist.

Der Fehler, den hier alle machen, ist der falsche Messzeitpunkt. Während der Kampagne oder nach der Kampagne. Das muss wie eingebrannt sein: Vor dem internen Schulterblick macht man das. Bevor man überhaupt drüber sprechen muss. Und wenn man diese Messung dann sogar noch in Slide-Form bringt, dann haben Sie alles, was Sie brauchen, um den Kunden damit zu überzeugen. Wenn Sie wissen, es ist eine 8,5, dann lassen Sie es den Kunden wissen. Messen heisst überzeugen – das gilt auch für kreative Exzellenz. Entzaubern Sie die Kreativität, verwandeln Sie sie in Zahlen, und nutzen Sie sie als Verkaufsinstrument.

Und dann gibt es noch eine zweite Messmöglichkeit. Wenn ich schnell über Ideen entscheiden muss, dann wende ich das an: den Reaktionspropheten. Unser Business ist doch das Business mit Reaktionen, nicht wahr? Also müssen wir doch wissen, wie Menschen auf das, was wir kreieren, reagieren. Je heftiger die Reaktion, desto besser.

Und das ist ebenfalls ein Level-3-Indikator. Die extremen Reaktionen, wenn man diese erahnen kann, deuten auf Level 3 hin. Es ist extrem lustig, extrem provokativ, extrem schlau, dann sind wir im Genie-Spektrum unterwegs. Immer, wenn ich erahnen konnte, dass die Reaktionen heftig ausfallen werden, habe ich auf den Start-Button gedrückt. Da sind wir wieder bei den Emotionen. Das ist das gan- ze Berufsgeheimnis. Nutzen wir es weise!

Natürlich gibt es noch weitere Rahmenbedingungen, die kreatives Schaffen fördern. Der Raum beispielsweise. Wenn ein Raum das Gefühl von Freiheit vermittelt, wird mehr kreative Energie frei. Esoterischer Quatsch? Nein, wissenschaftlich erwiesen. In der Praxis heisst das: hohe Decken, viel Licht, viel Ausblick. Denken braucht Platz und Luft. Und ein weiterer Aspekt kommt bei den Räumen ebenfalls hinzu: Man muss die Kreativität schmecken. Es muss nach Erschaffen riechen. Man muss umzingelt sein von schöpferischer Leistung. Das spornt einen selbst an und vermittelt dem Kopf: Hier ist ein Ort, an dem Entstehen möglich ist. Quasi ein Möglichkeitsraum.

Es sind weiche Faktoren, aber sie sind dennoch unglaublich wichtig. Und gerade weil sie weich sind, gibt es sie so selten. Wo ist man am besten kreativ? Im Büro? Pah. Wissen Sie überhaupt, wo Sie am besten kreativ sind? Legen Sie den Ort fest. Bei mir ist es der Bandraum, mein «Moshroom». Ziel, Freude, Antrieb, Inputs, Messbarkeit, Raum. Haben wir es nun endlich?

Leider nein. Eine wichtige Sache fehlt noch. Und das sind Sie. Es gibt nichts Ansteckenderes als kreative Energie. Ist Ihre Energie ansteckend? Kreativität lädt sich durch die Kreativität der anderen auf. Wenn um Sie herum nur ein, zwei Leute brennen, dann schlägt die Flamme auf Sie über. Wenn Sie brennen, dann entfachen Sie das auch in anderen. Das ist echte Inspiration, nicht cooles Zeug auf Youtube gucken. Dafür habe ich ausnahmsweise mal keine Studie und keinen Beweis. Aber den Glauben daran habe ich. Vielleicht hilft der Gegenbeweis: Wenn Leute um Sie herum nicht brennen und nicht inspirierend sind und Kreativität nicht das oberste Gut ist, dann hat man selber irgendwann keinen Bock mehr. Langeweile ist eben auch ansteckend.

So, jetzt sollten wir endlich am Ziel sein. Eine Kreativkultur und mehr Level-3-Kreative schafft man über die richtigen Ziele, ganz viel Freude am Erschaffen, den inneren Antrieb ankurbeln, dann selbst wissen, was gut und was genial ist, und dann das Ganze in einem geeigneten Kreativraum stattfinden lassen. Wenn Sie dann noch umzingelt sind von Gleichgesinnten, dann ist Level 3 an der Tagesordnung in Ihrer schönen Kreativkultur. Und ob Sie Praktikant, Vorgesetzte, Big Boss oder Auftraggeberin sind, Sie bringen die Kreativität nach vorne, wenn Sie sich bewusst sind: Auch Sie sind die Kreativkultur.

Das Interview mit Dennis Lück zum Thema Kreativität ist im Podcast «Creativität» von Remy Fabrikant zu hören. 

DENNIS LÜCK ist ist Gründer und Geschäftsführer von BrinkertLück Creatives und setzt sich aus Leidenschaft für gute Kreativität ein.

Nur für Sie.