Noch gar nicht richtig «geboren», ist das Metaverse für einige schon das Genie, das unser Leben grundlegend verändern wird. Doch so einfach ist das nicht.
2023
Parallelwelten fand der Mensch schon immer spannend. Und es spielt keine Rolle, ob sie wie der Weltraum real oder von kreativen Filmemachern wie in «Matrix» oder «Avatar» erfunden wurden. Sie sind anders und sie versprechen Freiräume. Nicht selten können die dort lebenden Wesen mehr, als der Mensch es in der Realität zu leisten bereit oder in der Lage ist. Es ist somit wenig verwunderlich, dass das Metaverse von so vielen bereits bejubelt wird. Doch bislang müssen wir auf einen vollständigen Zugang zu diesem virtuellen, parallelen Universum warten. Der grosse (Ur-)Knall hat noch nicht stattgefunden – aktuell steckt das Metaverse noch in seinen Erfinderschuhen, erste kleine Kinder tummeln sich jedoch schon auf dem virtuellen Spielplatz. Dass Mark Zuckerberg, ein grosser Befürworter und Antreiber dieser neuen Welt, Facebook im vergangenen Jahr in Meta umtaufte, sehen manche aber als endgültigen Startschuss.
Die Realität ist rund
Seit es das Internet gibt, bewegen sich Menschen in digitalen Parallelwelten. «Second Life» oder «Minecraft » sind nur zwei der bekanntesten. Online-Dating- Portale sind eine andere. Die zunehmenden technischen Möglichkeiten wie Augmented Reality und Virtual Reality sowie ihre Gadgets machen die persönliche Erfahrung des Einzelnen dabei immer echter, wirklicher, spürbarer. Und die Covid-19-Pandemie hat auch die schärfsten Kritiker gelehrt, dass «digital » funktioniert und ein virtuelles Miteinander den persönlichen Austausch zumindest teilweise ersetzen kann. Aber die Betonung liegt auf teilweise. Das Metaverse ist nicht fertig und zudem neuartig, darum lässt es sich nur ansatzweise erklären. Viele Details sind aktuell noch Fiktion oder Wunschgedanke. Beides sind Grundlagen für echte Innovation. Doch wir leben nun einmal in der physikalischen Realität. Das Metaverse wird das nicht komplett ändern, auch wenn der eine oder die andere dorthin flüchten wollen wird. Diese runde Kugel, auf der Sauerstoff und Wasser unser Überleben sichern, ist immer noch unsere Heimat. Sie ist die Basis, in der neue respektive parallele Welten ihren Platz finden.
Zwischen Wunsch und Ablehnung
Der Begriff wie auch die Definition von Metaverse oder eingedeutscht «Metaversum» entstammt übrigens dem geschrieben Wort. 1992 erschien das Buch «Snow Crash». Autor Neal Stephenson beschrieb in seiner Novelle eine virtuelle Realität, in der Menschen als Avatare miteinander interagieren, kommunizieren und sich zu Hause fühlen. Ein hochmodernes Märchen, das zwei Dekaden später die internationalen Tech-Giganten mit Leben füllen wollen – echtem und künstlichem. Geburtshelfer ist dabei auch Zürich. Am Fusse des Uetliberges entwickeln die Facebook-Mitarbeitenden VR-Brillen und künstliche, weil virtuelle Umgebungen. Ihr Schwerpunkt: menschliche Schwächen ausgleichen. Sie haben es zum Beispiel geschafft, Schwindelgefühle von Menschen zu vermeiden, die unter «Motion Sickness» leiden. Denn das Metaverse soll jedem offenstehen, auch denen, die «seekrank» werden, wenn sie eine VR-Brille tragen. Schon «Second Life» hat gezeigt, dass die Präsenz einer Marke, eines Unternehmens in der virtuellen Welt Eindruck macht. Was dieses Beispiel aber auch gezeigt hat: Es ist ein Zusatz, eine neue und ergänzende Präsenz. Es ist eine logische Weiterentwicklung dessen, was wir seit rund zwanzig Jahren im Bereich der Markenpräsenz erleben. Das Metaverse wird absehbar eine spannende Möglichkeit bringen, virtuell und damit zeitlich und örtlich unabhängig mit den Menschen zu interagieren, aber auch das Metaverse hat seine Grenzen, denn in virtuellen Welten ist eben nicht jeder zu Hause. Eine aktuelle Statistik zeigt, dass mehr als die Hälfte aller Menschen nicht einmal das Wort «Metaverse» kennt, rund 20 Prozent haben schon einmal davon gehört, wissen aber nicht mehr dazu zu sagen. Sicher sind die Generationen Y, Z und Alpha fit in der digitalen Welt und für sie eröffnet das Metaverse einfach neue Räume. Aber die ältere Generation wird sich in meinen Augen nicht vollständig darauf einlassen, als Avatar im Virtuellen ein zweites Dasein zu fristen, mit VR-Brille und Joystick. Zudem wird gerne in Bezug auf das Metaverse und ganz allgemein virtuelle Welten und Angebote Richtung Osten geschaut. In Asien zeichnet sich der Trend ab, dass gerade junge Leute zunehmend im Metaverse shoppen und sich eine Existenz aufbauen. Das ist cool, das ist hip. Aber es ist eben auch Asien. Und das lässt sich nicht eins zu eins auf unsere Region übertragen. Egal ob Japan, Südkorea oder vor allem China, die Menschen sind schon seit langem viel affiner für ein Leben mit und in der digitalen Welt. Sie haben einen ganz anderen Bezug zur Technik und den Miteinbezug im Alltag von Werkzeugen wie KI, Robotik und so weiter. So ist ein Leben ohne Wechat in China kaum noch machbar, privat wie beruflich. Egal ob die eigene ID, der Zahlungsverkehr oder auch die Organisation der persönlichen Agenda, alles läuft über diese eine mobile Anwendung – und das generationsübergreifend. In Japan können Sie mittlerweile sogar eine virtuelle Figur oder eine Roboterfrau ehelichen. In Südkorea ist das Metaverse bereits so etabliert, dass es im Präsidentschaftswahlkampf genutzt wurde, etwa indem sich die Kandidaten der Demokratischen Partei dem Volk zum Wahlkampfauftakt virtuell präsentierten. Dafür wurde ein Bereich von Metapolis gemietet, der Metaverse-Plattform des koreanischen Online-Wohnungsmaklers Zigbang. Der Auftritt soll eine neue Ära politischer Kampagnen einläuten. Auch Finanzinstitute wittern reale Geschäfte in virtuellen Welten. Unter anderem will NH Investment & Securities, dass im eigenen NH Universe gleichzeitig 2000 Kunden kommunizieren, Dienste nutzen, Seminare besuchen oder einfach nur ein bisschen gemeinsam spielen können. Lässt sich aus dem asiatischen Fortschritt ein Modell für Europa und die Schweiz ableiten? Nun, wie erwähnt setzen Japan und Südkorea global die digitalen Trends. Superschnelle Internetverbindungen und die alte Liebe Ostasiens zu neuen virtuellen Stars sind die grossen Enabler. Den ersten Durchbruch feierte 2007 die japanische Hologramm-Berühmtheit Hatsune Miku, ein bewegter Anime-Teen mit langen blauen Haaren und extrem knappem Rock. Und das war nur der Auftakt. Aber Europa ist nicht Asien, weshalb die Trends nicht einfach übertragbar sind.
Für die Generationen Y, Z und Alpha öffnen sich neue Räume.
Marketing, Macht und Profit
Für Firmen und insbesondere die Marketing-, PRund auch HR-Abteilungen ist das Metaverse dennoch auf Wiedervorlage zu legen. Einige haben wie erwähnt schon erste Schritte gewagt. Ende März 2022 fand im Gaming-Marktplatz Decentraland (Mana) die erste Metaverse Fashion Week statt. Avatar-Models, Runways, Aftershow-Partys, Showrooms, Shops und kaufwillige Zuschauer-Avatare; es war alles vorhanden, was zu diesem Schauspiel dazugehört. Und selbstverständlich namhafte Brands wie Dolce & Gabbana, Cavalli, Elie Saab oder Tommy Hilfiger. Die Fashionlabels Gucci und Ralph Lauren besitzen sogar schon eigene Shops im Metaversum. Gleiches gilt für das Auktionshaus Sotheby’s. Viele virtuelle Präsenzen sind gut gemacht, dennoch ist klar: Bislang tastet man sich heran, probiert aus, was möglich ist oder künftig möglich sein könnte. Es geht um einen neuen Marktplatz und Anteile daran, aber auch um Image, um Dabeisein. Jenes Metaverse, an welchem Meta/Facebook, Nvidia, «Roblox» und weitere entwickeln, soll in fünf bis zehn Jahren «mainstream» sein, so das auf der Meta-Connect- Konferenz 2021 kommunizierte Ziel. Metaverse-Vordenker Matthew Ball rechnet eher in Dekaden. Es klingt gigantisch: Durch das Metaverse entsteht eine voll funktionsfähige eigenständige Wirtschaft. Investitionen, Handelsbeziehungen und Produkte könnten komplett digitalisiert werden. Sicher lässt sich die Fahrt in einem BMW virtuell erleben, aber ersetzt das den echten Fahrspass? Und im Café in Rom zu sitzen, kann durchaus virtualisiert werden, aber fühlt es sich nicht doch anders an, wirklich auf der Piazza Navona einen Espresso zu trinken? Relevant wird sein, wie viele Ressourcen eine Firma in ihre Metaverse-Präsenz steckt. Ich sehe für den europäischen Raum das Metaverse als innovativen Zusatz, als Ergänzung zu bestehenden Marketing- und Absatzkanälen, als weiteres Markenerlebnis.
ALLES VIRTUELL
Virtuelle Mode
Ende März 2022 fand die erste Fashion Week im Metaverse statt. Mit Avatar-Models, Runways, Aftershow- Partys, Showrooms, Shops und kaufwilligen Zuschauer-Avataren.
Virtuelle Immobilien
In Upland kann man digitale Immobilien kaufen und verkaufen, die auf realen Adressen basieren. Kürzlich wurde das Rockefeller Center in New York für 40 000 Dollar verkauft.
Virtuelle Kunst
Das Auktionshaus Sotheby’s eröffnete eine virtuelle Galerie im Metaverse und bot auf einer ersten Versteigerung 53 Werke von insgesamt 19 NFT-Sammlern an.
Analysten prophezeien nach der Gaming- der Pornoindustrie besonders rosige Aussichten für eine eigene Galaxie im Metaversum – in Form eines blühenden Wirtschaftszweigs. Auch dank den passenden Tech-Gadgets sollen sich Erfahrungen wie reale Erlebnisse anfühlen und Gefühle intensiver geweckt werden als bei klassischen Filmchen. Erwachsenenträume – und jene der Investoren – mögen bis 2025 wahr werden. Dass sich mit dem Metaverse bereits heute richtig Geld verdienen lässt, zeigt das Beispiel von Dirk Lueth. Er und seine Mitgründer wollten mit Upland Monopoly eine virtuelle Immobilienwelt nachbauen – mit Erfolg: Das Unternehmen des gebürtigen Deutschen wurde unlängst mit mehr als 300 Millionen Dollar bewertet. Jeder kann in diesem Metaverse ein Stück Land kaufen und Upland nimmt einen Anteil von 5 Prozent für jede Transaktion zwischen Spielern. Auch beim Konkurrenten Decentraland können virtuelle Grundstücke in der Kryptowährung Mana erworben werden. Dass es sich hier nicht um ein harmloses Spiel, sondern um ein echtes Geschäftsfeld handelt, macht die Marktkapitalisierung von über 10 Milliarden Dollar für die Kryptowährung Mana deutlich. Grenzen der virtuellen Welt Das Metaverse wird sicher einige Dinge verändern und wie die meisten technologischen Weiterentwicklungen wird auch dieses neue Tool neue Optionen schaffen. Diesbezüglich wissen wir in der westlichen Welt sicher noch nicht so viel wie eben in Ostasien. Fortschritt und Weiterentwicklung sind essenziell, der Versuch dieser lang angedachten Parallelwelt absolut in Ordnung, aber es gibt auch Limite und es wird unser reales Leben weder komplett ersetzen noch auslöschen. Das haben schon andere Beispiele gezeigt. Banken bräuchten zeitnah keine Filialen mehr, hiess es lange. Wir haben das papierlose Büro propagiert. Um dann festzustellen, dass der Papierberg grösser wurde. Virtuelle Meetings erleichtern viel, aber die Freude, mit der gerade wieder persönliche Sitzungen abgemacht werden, ist enorm. Gewisse Dinge lassen sich nun mal nicht virtualisieren. Gerade der echte zwischenmenschliche Austausch nicht, der in den letzten zwei Jahren vielen gefehlt hat. Netflix erlebt gerade eine Kündigungswelle deswegen. Hinzu kommt, dass so eine parallele Zwischenwelt mit neuen Risiken und Herausforderungen behaftet ist. Im Ansatz kennen wir diese schon von Dingen wie Games, autonomem Fahren oder mit KI kreierter Kunst: Wer ist Urheber? Wer ist Verursacher? Und das Thema Cybersicherheit? Diese und weitere Fragen sind bisher wenig bis gar nicht geklärt. Ohne Frage ist es Innovationen immer inhärent, mit unbeantworteten Fragestellungen behaftet zu sein. Auf der anderen Seite interessieren sich 2022 in Europa laut einer Studie von Walkme. com die Menschen aus Frankreich und Grossbritannien am meisten für das Metaverse. Es folgt die Schweiz auf Platz drei und Deutschland auf dem vierten Rang. Schlusslicht ist Schweden. Ein Grundinteresse ist also in unserem Land vorhanden, weshalb für mich die zentrale Frage lautet: Wird das Metaverse in der Lage sein, den Nutzern eine Wunschwelt zu generieren?
Wird Metaverse in der Lage sein, Nutzern eine Wunschwelt zu generieren?