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"Gibts einen Award on top – umso besser"

Drei Generationen von Werberinnen, die drei Dekaden in der Branche umspannen: Lili Tanner (68), ehemals Liliane Lerch, Simone Fennel (57) und Julia Staub (44) über Frauen in der Werbung, Vereinbarkeit und Selbstbewusstsein.

Sherin Kneifl

2023

Der Ratschlag von ADC Jurymitglied und Senior Texterin Julia Staub an Frauen: «Steht für euch ein»
Der Ratschlag von ADC Jurymitglied und Senior Texterin Julia Staub an Frauen: «Steht für euch ein»
Lukas Maeder

Die Freude ist gross beim Beginn des Calls: «Hallo Liliane, wie schön, dich zu sehen!» – «Hallo Simone! Ich habe spontan zugesagt, weil du dabei bist. Ich würde mich zwar fast lieber über private Dinge mit dir unterhalten, weil ich alles darüber wissen will, was du jetzt so machst. Deine Keramik finde ich übrigens toll.» – «Für mich ist es eine Freude, euch kennenzulernen», bringt sich Julia ins Spiel. Dann legen wir mal los.

ADC: Lili Tanner und Simone Fennel: Warum habt ihr der Branche den Rücken gekehrt?
Lili Tanner: Das war nicht ein Rückenkehren. Das war ein «auf zu neuen Ufern». Bereits als ich die Smart-Kampagne verantwortete, stand fest, dass ich nach Kalifornien auswandern würde. Ich wollte dort Bücher schreiben, habe ich auch gemacht. Dann fing ich an, Accessoires für mich zu fertigen. Als ich auf der Strasse angesprochen wurde, ob ich meine Tasche auch verkaufen würde, habe ich nach und nach eine kleine Kollektion aufgebaut. Seit ich in Twentynine Palms in der Mojave-Wüste lebe, inspiriert mich die Landschaft zu organisch geformten Schmuckstücken aus Bronze. Simone Fennel: Ich bin mit meinem Mann nach Shanghai gezogen, als unser Sohn drei Jahre alt war. Damals habe ich selbständig als Artdirectorin gearbeitet. Der Zeitunterschied zur Schweiz bedeutete eine Herausforderung; zuerst habe ich meinen Sohn ins Bett gebracht und ab 21 Uhr Ortszeit gearbeitet. In China in die Werbebranche einzusteigen, stand jedoch nicht zur Debatte. Also musste ich mich neu finden. 2015 hat mir eine Freundin dazu geraten, etwas mit meinen Händen zu machen. Als ich an einem Pottery- Shop vorbeilief, habe ich spontan einen Kurs gebucht. Da hat es Klick gemacht. Ein Jahr später gründete ich Fennel-Pottery.


Nun macht ihr unter eurem Namen erfolgreich Schmuck beziehungsweise Keramik. Hilft es beim Self Branding,dass ihr eine Werberinnenvergangenheit habt?
Lili: Wahrscheinlich, obwohl sowohl das Anfertigen wie auch die Vermarktung instinktiv passiert. Ich zeige die Stücke auf Instagram, verkaufe sie über meine Website und in verschiedenen Läden, vor allem im Westen Amerikas. Der ganze Aufbau der Marke hat sich auf natürliche Weise ergeben. Ich hatte keinen Plan, den ich akkurat verfolgte. Das gilt übrigens für meine gesamte Karriere. Ich habe mich immer von meiner Intuition leiten lassen.

Dein Herz, Julia, hängt nach wie vor an der Werbung?
Julia Staub: Ja! Ich wollte tatsächlich schon als Kind Werbung machen. Allerdings bin ich erst über Umwege hier gelandet. Ursprünglich habe ich eine Ausbildung für Textildesign absolviert und danach an der Universität für angewandte Kunst studiert bei Walter Lürzer, der auch das Lürzers Archiv herausgegeben hat. Als ich realisiert habe, dass mich Texten und Konzepten noch mehr interessiert als Grafik, habe ich mich bei der Advico beworben, wo ich nochmal bei null mit dem Texten startete. Und dabei wollte ich dann unbedingt bleiben. Als ich Mutter geworden bin, hat mir die Agentur ermöglicht, Kind und Karriere unter einen Hut zu kriegen. Ich konnte selbst bestimmen, wann ich zurückkomme und das Pensum in meinem Tempo erhöhen. Diese Flexibilität wünsche ich mir auch für andere junge Menschen, die vor der Vereinbarkeitsfrage stehen.

Haben sich nach der Werbung dem Handwerk zugewandt: Simone Fennel (l.) und Lili Tanner
Haben sich nach der Werbung dem Handwerk zugewandt: Simone Fennel (l.) und Lili Tanner
Links: Tom Haller

Ihr habt alle Kinder. Wie schwierig war es, Beruf und Familie zu vereinbaren?
Lili: Ich hatte bereits meine zwei Kinder, als ich in die Werbebranche eingestiegen bin. Zuvor hatte ich als Kunst- und Kulturkritikerin gearbeitet. Wirz hat meine Vergangenheit in der Kultur geschätzt und mich als Texterin eingestellt. Dank meiner toleranten Chefs dort konnte ich zwei Tage in der Agentur arbeiten und den Rest flexibel gestalten. Als ich bei Weber, Hodel, Schmid, gearbeitet habe, waren die Kinder schon älter, und auch dort hatte man Verständnis. Simone: Als Selbständige konnte ich mir meine Zeit einteilen. Allerdings war mein Partner oft unterwegs. Darum war ich auf Hilfe angewiesen und musste mich organisieren. Wenn man hundert Prozent arbeitet, ist das heute mit Homeoffice, Teams-Calls et cetera sicher einfacher. Ich glaube aber schon, dass es noch Defizite gibt in der Schweiz bezüglich der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Karriere.

Musstet ihr berufliche Hürden nehmen, mit denen eure Kollegen nicht konfrontiert waren?
Lili: Nein. Ich weiss, das klingt unglaublich, aber ich hatte es total leicht. Ich war etwas älter, Mutter, ein Outsider, was ich als Vorteil erachte. Simone: Es stimmt, du warst damals eine der ganz wenigen Frauen in der Branche auf dieser Karrierestufe. Ich erinnere mich an einen Aufruf des ADC. Eines Tages hiess es: Wir brauchen mehr Frauen. Reini Weber, mein damaliger Arbeitgeber, ermutigte mich. Also bewarb ich mich und bin tatsächlich zusammen mit ein paar anderen aufgenommen worden. Wir waren stolz und fanden es toll. Aber es blieben doch Zweifel: Hat man mich genommen, weil ich gute Sachen mache oder weil ich eine Frau bin? Lili: Bevor ich die Smart-Kampagnen gemacht habe, hat mir mal jemand gesagt: «Du solltest in den ADC. Bewirb dich doch.» Das habe ich getan – und bekam eine herablassende Absage, in der Art: «Nett, dass Sie sich interessieren, aber Sie sind noch nicht soweit.» Als ich später mit Smart zahlreiche Preise gewonnen hatte, wollte der Club, dass ich Mitglied werde. Das habe ich natürlich abgelehnt. Julia: Im ADC gibt es noch immer deutlich mehr männliche als weibliche Kreative. Um aufgenommen zu werden, muss man zuvor die Chance bekommen haben, über mehrere Jahre Herausragendes zu machen. Beim Young ADC sehen wir aber, dass es viele junge, hochtalentierte Frauen gibt, die grossartige Arbeit leisten. Die Branche ist gefragt, dem Nachwuchs alle Türen weit zu öffnen und allen Talenten die Möglichkeiten zum Weiterkommen zu bieten. Sie müssen eine Perspektive haben, um in der Werbung und Kommunikation zu bleiben.

Hattet ihr Vorbilder, die als Orientierungshilfe dienten?
Lili: Repräsentation ist wichtig, damit man sich von Erfolgsgeschichten inspirieren lassen kann. Aber Vorbilder müssen nicht unbedingt aus unserem Metier stammen. Ich habe mich von verschiedenen Lebensläufen beeinflussen lassen. Simone: Mich hat die Zeit in Hamburg geprägt. Dort wehte ein anderer Wind als in der Schweiz. Für gleiche Arbeit gab es den gleichen Lohn. Wer die bessere Idee hat, kommt durch. Es ging gleichberechtigt zu. Zurück in der Schweiz fühlte ich mich diesbezüglich etwas zurückgeworfen. Julia: Während der Ausbildung in Wien hatte ich mit Eva Buchheim zwei starke und mutige Lehrerinnen. Für mich waren positive Beispiele wesentlich, um zu sehen, was alles möglich ist. Bei Wundermann Thompson (damals noch Y&R Group, Anm. d. Red.) hatte ich sowohl männliche als auch weibliche Vorbilder zur Orientierung. Schon vor zehn Jahren gab es hier Männer in Führungspositionen, die einen Tag pro Woche frei hatten, um sich um die Kinder zu kümmern. Sie sind um 17 Uhr gegangen, um die Kinder abzuholen. Susan Baumgartner Halder, die damalige Geschäftsfüh rerin von Exxtra ist auch mal mit Kinderwagen in der Agentur eingefahren. Diese Beispiele haben mir vermittelt, dass die Kombination von Kind und Karriere Spass machen kann. Dass man seinen Job auch in einer Vier-Tage-Woche super erfüllen kann ohne schlechtes Gewissen. Simone: Wenn ich Julia höre, ist das ein Riesenunterschied zu meiner Zeit. Ich kannte niemanden, der mit dem Kinderwagen in die Agentur kam.

Was bedeuten euch Auszeichnungen wie ADC Awards? Ist das Messen an der Konkurrenz wichtig?
Julia: Mir geht es immer um die Arbeit. Wenn ich mit Herzblut dran bin und während des Prozesses schon ein gutes Gefühl habe, gibt es dafür am Ende auch oft einen Award, wobei man sich nie sicher sein kann. Nur der Auszeichnungen wegen an den Awards teilzunehmen, finde ich weder spannend noch zielführend. Es geht um das Meistern der Herausforderung, die Hingabe, das Teamwork. Gibt es einen Award on top – umso besser. Simone: Das sehe ich genauso. Die Arbeit an sich muss Freude bereiten. Wenn es anfängt zu prickeln, wird es super und dann gibt es wahrscheinlich einen Preis dafür. Wie viel die Auszeichnungen wirklich zählen, sei dahingestellt. Ich habe noch nie eine Stelle bekommen, nur weil ich so und so viel Gold und Silber gewonnen habe. Lili: Das stimmt bei mir nicht ganz. Als ich für die Smart-Kampagne internationale Preise gewonnen habe und Werberin des Jahres wurde, hätte ich jede Stelle haben können. Agenturinhaber sind aus Deutschland eingeflogen und haben den roten Teppich ausgerollt. Der Titel hat etwas bewirkt.

Das klingt fast, als hätte der Titel Nobelpreisniveau gehabt. Ist es heute immer noch solch ein erstrebens wertes Gütesiegel oder wurde er mittlerweile entwertet?
Julia: Dieses Jahr gab es tolle Nominierte, die alle auf ihre Art die Kommunikationsbranche prägen. Ja, es braucht Vorbilder, die zeigen, was mit Mut, unkonventionellen Ideen und engagierter Führung möglich ist. Die Werber:innen des Jahres haben natürlich eine starke Stimme.

"Als ich Werberin des Jahres wurde, hätte ich jede Stelle haben können"
Lili Tanner

Auf welche eurer Arbeiten seid ihr besonders stolz?
Julia: Auf die für zwei Kunden: Geberit und HEKS. Hier handelt es sich jeweils um eine langfristige Zusammenarbeit. Es ist speziell, über Jahre die gleichen Kunden zu betreuen, weil immer wieder etwas Besonderes entsteht, obwohl man immer über die gleichen Sachen nachdenkt. Simone: Ich hatte bei Weber, Hodel, Schmid das Schauspielhaus Zürich als Kunden. Das war sehr spannend, weil ich mich für die Werbung mit dem jeweiligen Stück, das inszeniert wurde, auseinandersetzen musste. Lili: Ich werde klar mit Smart in Verbindung gebracht. Eine Marke neu auf den Markt zu bringen für ganz Europa, stellte eine Riesenaufgabe dar. Auch Vitra habe ich einige Jahre mit Freude betreut. Die Grösse des Auftraggebers spielt keine Rolle dabei, wie gut und gerne man den Job macht.

Wann habt ihr gedacht: Jetzt habe ich es geschafft?
Lili: Ich hatte einen solchen Moment. Während einer Präsentation für eine Bank, die es jetzt nicht mehr gibt. Es ging ums Investmentbanking und wir sprachen vor einem Publikum bestehend aus internationalen Bankern. Es lief so rund, dass ich spürte, ich habe sie in der Tasche. Das war ein Schlüsselmoment, an den ich oft zurückgedacht habe. Simone: Ich dachte nie «ich habe es geschafft». Aber als die ADC/BSW Kreativschule 1990/1991 gegründet wurde, war ich im ersten Jahrgang und hatte Lehrer wie Martin Suter, Reini Weber, Peter Lesch, Robert Stalder … Diese Ausbildung empfand ich als eindrucksvoll und lehrreich. Zum Schluss hat unser Team Gold gewonnen, das war so ein Schlüsselmoment. Julia: Als ich nach der Geburt meines ersten Kindes wieder zu arbeiten begann, merkte ich, dass ich von nun an besser Verantwortung übernehmen kann. Die Verantwortung für einen kleinen Menschen hat mir auch für den Job Stärke gegeben. Ich wurde selbstbewusster, fokussierter, besser. Wie viele Frauen hatte ich mir zu wenig zugetraut, mich häufig selbstkritisch hinterfragt. In jenem Aha-Moment habe ich einen Schalter umgelegt.

Stehen hinter euch erfolgreichen Frauen starke Männer?
Simone: Ich habe mit meinem damaligen Partner im selben Team gearbeitet, was ich bereichernd fand. Heute teilen sich mein Mann und ich die Kinderbetreuung gleichwertig auf. Julia: Mein Mann und ich sind uns von Beginn an auf Augenhöhe begegnet, obwohl er beruflich schon weiter war. Für uns stand fest: Wir machen wirklich halbe-halbe, von Kindererziehung bis Haushalt und Job. Lili: Diese Frage wäre wahrscheinlich in einer Männerrunde nicht gestellt worden. Sie suggeriert, dass wir Frauen auf etwas verzichten beziehungsweise uns die Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit kreative Entfaltung möglich ist.

Habt ihr einen Tipp für Nachwuchs- Werberinnen?
Simone: Sie sollen an sich glauben. Sich bei einer Idee, die ihnen ein gutes Gefühl gibt, nicht einschüchtern lassen und konsequent dranbleiben. Lili: Verfolge das, was dich interessiert. Den Rat würde ich jedem jungen Menschen geben, ob Mann oder Frau. Julia: Für Kreativarbeit ist es wichtig, den Kopf frei zu kriegen, keinen Dauerstress zuzulassen, sich Inspiration ausserhalb der Agentur zu holen. Für Frauen im Speziellen gilt: Steht für euch ein. Traut euch, eigene Vorschläge für Vereinbarkeiten zu machen. Auch mal Forderungen zu stellen – und «Ja» zu sagen, wenn sich eine Chance auftut.

Simone Fennel absolvierte nach einer Grafiklehre die Kreativschule ADC/BWS, um danach unter anderem bei GGK in Zürich und Scholz & Friends in Ham - burg zu arbeiten. Bei Weber, Hodel, Schmid, Zürich, war sie als Ar t Director für Kunden wie den «Tagesanzeiger», UBS, Manor, Media Markt verantwortlich. Nach einer Zeit als Freelance- Art-Director führt sie seit 2019 ihr Keramikstudio, Fennel-Pottery. Von 1997 bis 2003 war sie Vorstandsmitglied des ADC.

Lili Tanner (früher Liliane Lerch) hat als Kunst- und Kulturkritikerin angefangen zu schreiben. 1990 wechselte sie als Texterin in die Werbung, zuerst bei Wirz, danach bei Weber, Hodel, Schmid, wo sie als CD die europaweite Einführungskampagne für Smart verantwortete. Seit 1999 lebt sie in Kalifornien. Heute macht sie Schmuck mitten in der Mojave-Wüste in Twentynine Palms.

Julia Staub (früher Brandstätter) ist ausgebildete Textildesignerin und hat Grafik und Werbung studiert. Nach Stationen bei Agenturen in Wien und bei Heimat Berlin kam sie 2008 nach Zürich und hat sich auf Text und Konzept spezialisiert. Sie arbeitet seit über zehn Jahren als Senior Texterin bei Wunderman Thompson. Ihre Arbeiten wurden bei nationalen und internationalen Awards ausgezeichnet. Seit 2016 ist sie Jury Member im ADC, seit 2021 vertritt sie Wunderman Thompson beim Gisler- Protokoll, das sich für eine facettenreiche Darstellung der Geschlechter in der Werbung einsetzt.

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